Zweimal Autismus-Störung: Unser Leben mit besonderen Söhnen

Autismus

Ihr Lieben, wir haben hier immer wieder Beiträge zum Thema Autismus, weil wir wissen, dass einige betroffene Familien bei uns mitlesen und weil wir es sooooo wichtig finden, zu diesem Thema aufzuklären. Daher haben wir uns sehr gefreut, als sich Heike bei uns gemeldet hat und uns angeboten hat, aus ihrem Leben mit zwei autistischen Söhnen zu erzählen. Noch mehr über Heike und ihre Familie könnt ihr in der Doku „Familienleben mit Autismus“ erfahren, diese Doku gibt es HIER in der ARD Mediathek zu sehen. Alles Liebe für euch, liebe Heike!

Liebe Heike, eure Söhne Ben (8) und Henry (10) haben beide eine Autismus-Störung im mittleren Spektrum. Wann habt ihr das erste Mal gemerkt, dass eure Jungs anders sind als andere Kinder?

Bei Henry haben wir es im frühen Babyalter schon gemerkt. Er war permanent überreizt, war ein Schreibaby und ich habe ihn beinahe durchgehend gestillt – eineinhalb Jahre lang. Dann hat er im Kleinkindalter Tics, starke Rituale und Vorlieben entwickelt und er hatte im sozialen Bereich große Schwierigkeiten, konnte Gefühle der anderen Kinder nicht erkennen. 

Bei Ben allerdings war es ganz anders. Er war ein total unkompliziertes Baby, völlig entspannt und lief eher nebenher, irgendwann wurde er sehr introvertiert, isolierte sich immer wieder und kam permanent und exzessiv seinem Hobby, den Insekten nach. Als er etwa 4 Jahre war, merkten wir, dass er nichts mit anderen Kindern anfangen konnte und recht empathielos war. Man kann sagen: Beide Kinder fielen im Kindergarten auf. Henry durch Aggressionen und sehr emotionales Verhalten, Ben durch „es kommt nichts an, was man so sagt“ und Isolation. 

Zum Thema Autismus gibt es immer noch viele Vorurteile. Welche begegnen euch besonders oft und was macht das mit euch?

Vorurteile begegnen uns oft. Es heißt dann: Wir müssten mehr durchgreifen, die Kinder würden uns auf der Nase herumtanzen, wir würden uns hinter der Diagnose verstecken, die Kinder seien einfach nur schlecht erzogen, wir würden nur Extrawürste wollen. Oder auch: Autismus ist eine Modekrankheit, man sieht den Kindern ja gar nicht an, dass sie was haben.

All das tut uns weh, weil der Alltag mit den Kindern nicht einfach ist, da braucht man nicht noch die Vorurteile der Gesellschaft obendrauf. Seitdem wir damit sehr offen umgehen und im Autismuszentrum angebunden sind, kommen wir aber deutlich besser damit zurecht.

Wie lange hat es gedauert, bis ihr eine Diagnose hattet und wie fühlte sich diese Diagnose an?  

Bei Henry hat es länger gedauert, denn leider ist nicht jeder Psychologe in der Lage, Autismus zu erkennen. Kindern können prima maskieren und verstehen schnell, was von ihnen erwartet wird. Den Eltern wird dann nicht geglaubt und schon ist die Familie in der Schublade „emotionale Störung durch Erziehung“. Das Problem an der Sache: ohne Diagnose bekommt man kaum Unterstützung. Bei Ben wussten wir natürlich sofort, wo wir hin müssen und wo uns geholfen wird. Das war deutlich entspannter und routinierter. 

Erzähl mal was über die Jungs. was brauchen sie, damit der Alltag gut gelingt?

Der Alltag funktioniert nur mit ganz viel Ruhe, Struktur und entspannten Dingen. Hausaufgaben oder andere schulische Dinge sind schwierig, denn in den Augen der Jungs sind Schule und zu Hause stark getrennt. Wir haben selten Besuch. Ausflüge sind selten möglich und müssen sehr vorbereitet und geplant werden. Safefood ist wichtig. Buchstabensuppe und Caramel Popcorn müssen IMMER auf Vorrat da sein. Wenn ein Meltdown kommt, geht nur noch das Essen.

Wie reagieren andere Kinder und Lehrer*innen auf sie? Wie sind sie sozial eingebunden?

Andere Kinder reagieren sehr verunsichert. Sie wissen nicht so recht, warum Henry und Ben in manchen Situationen so reagieren, wie sie reagieren. Die sehr wenigen Freunde, die sie haben, haben sie seit dem Kindergarten. Die Familien wissen Bescheid und erklären immer wieder, wenn es mal wieder Konflikte gibt. Fremde Kinder nehmen schnell Abstand. 

Die Lehrer*innen unserer Kinder sind zum Glück sehr offen und verständnisvoll. Wir sind im engen Austausch und klären auf. Wichtig ist uns, dass Schule, Autismuszentrum, Jugendamt und wir als Familie einen Kreis bilden und gemeinsam den Kindern möglich machen, im (Schul-) Alltag zurecht zu kommen. 

Was hast du durch den Autismus deiner Söhne gelernt?

Wir haben durch die Diagnosen der Kinder gelernt, wertfrei und vorurteilsfrei zu sein. Über den Tellerrand schauen. Jeder ist gut und besonders auf seine Art und Weise. Inklusion steht gerade erst am Anfang – es gibt noch viel zutun. Außerdem haben wir gelernt, unserem Bauchgefühl zu vertrauen. Mit Liebe und Verständnis schafft man alles.

Was wünscht du dir für deine Kinder?

Ich wünsche mir für unsere Kinder, dass sie weiterhin auf ihrem Weg bleiben. Sie sind so unterschiedlich, aber ganz wunderbar. Henry ist wahnsinnig liebevoll und emotional, trägt sein Herz auf der Zunge. Ben ist so witzig und originell und bringt uns jeden Tag zum Lachen. Es wird immer Menschen geben, die ihnen mit Vorurteilen begegnen und nicht wohlgesonnen sind. Ich hoffe, sie sind gut darauf vorbereitet. 

Und was willst du Eltern, deren Kinder ganz frisch eine Diagnose haben, sagen? 

Eltern, die frisch die Diagnose ihres Kindes erhalten haben, möchte ich sagen, dass sie tolle Eltern sind, die Großartiges leisten. Bleibt weiter so stark und mutig, um für eure Kinder einzustehen. Die Kinder machen es nicht mit Absicht und schlechte Tage zeigen, wie groß das Vertrauen zu den Eltern ist, so sein zu dürfen wie man sich gerade fühlt. 

Austausch mit betroffenen Eltern ist unglaublich wertvoll und wichtig und bringt in schwierigeren Phasen wieder auf den richtigen Weg. Bei Fragen oder Erfahrungsaustausch darf man sich gerne an uns wenden. 

3ede4221c3ab409fa523bc95b94fc3f3

Du magst vielleicht auch

2 comments

  1. Wir sind sehr dankbar für diese Doku!
    Unser Sohn hat seine Diagnose mit 7 Jahren erhalten. Danach wurde auch bei mir Autismus diagnostiziert. Wir haben unseren Sohn in beiden Jungs wiedererkannt. Mein Mann und ich haben beide auch mit den Tränen kämpfen müssen. Ihr macht das wirklich super! Wir stehen leider schon seit über 2 Jahren auf der Warteliste für die Autismustherapie. Wir wünschen euch weiterhin viel Kraft!!

  2. Ich habe gerade einen Podcast zum Thema Autismus gehört und darin kam auch vor, dass es evtl erblich ist. Deswegen würde ich gerne Fragen ob du oder dein Mann Anzeichen von Autismus habt?
    Ich wünsche den Jungs alles Gute für den weiteren Weg!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert