Ihr Lieben, neulich hatten wir euch auf unserer Facebook-Seite danach gefragt, wer oder was euch am meisten geprägt hat. Die Antworten darauf haben wir in einen Artikel gepackt, den ihr HIER nochmal lesen könnt. Daraufhin hat sich Verena bei uns gemeldet, die im Kinderheim aufgewachsen ist und deren Geschichte uns sehr berührt. Wir hoffen, dass wir hier jemanden in der Community haben, der ihr gute Tipps geben kann.
„Mein Name ist Verena und euer Artikel über die Menschen, die einen am meisten geprägt haben, hat mich traurig gemacht. Und zum Nachdenken gebracht. Lasst mich dazu aber ein bisschen ausholen.
Ich kenne meine leiblichen Eltern nicht. Soweit ich weiß, war mein Vater ein Voll-Versager und meine Mutter blutjung. Ich war ein „Unfall“ und schnell stellte sich heraus, dass mein Vater meine Mutter nur wegen eines Kindes nicht heiraten wollte und meine Mama somit alleine mit mir gewesen wäre. Meine Mutter wohnte wohl damals noch zu Hause und ihre Eltern haben ihr klargemacht, dass sie sie nicht unterstützen werden. Trotzdem hat sie mich ausgetragen, geboren und ich habe auch ungefähr 9 Monate in dem Haushalt gelebt.
Mit 9 Monaten ins Kinderheim
Dann kam ich ins Kinderheim. Und das war keine schöne Zeit. Ich bin nicht misshandelt worden, aber ich war einfach alleine. Ich kann mich an keine liebevolle Umarmung, an nichts Warmes erinnern. Ich war meine ganze Kindheit und Jugend ein ziemlicher Einzelgänger und hatte sehr, sehr lange Probleme damit, Gefühle zu zeigen oder Liebe anzunehmen. Das zeigt, wie sehr es Kinder prägt, wenn sie nie menschliche Wärme erfahren.
Es ist fast ein Wunder, dass ich psychisch nicht total labil bin, sondern dass ich es geschafft habe, eine Berufsausbildung zu machen, einen Partner zu finden und sogar ein Kind zu bekommen. Natürlich hatte ich große Angst, ob ich einem Kind eine gute Mutter sein kann – wenn ich selbst nie erlebt habe, was eine gute Mutter macht. Zum Glück kriegen wir das alles bisher gut hin, mein Partner kennt meine Geschichte und ist meine größte Unterstützung.
Nun denke ich aber darüber nach, ob ich es noch wagen sollte, meine leiblichen Eltern ausfindig zu machen. Ich denke, es dürfte eigentlich nicht allzu schwer sein, es gibt ja Unterlagen von früher. All die Jahre hat niemand aus meiner Familie versucht, mit mir Kontakt aufzunehmen – ist das ein Zeichen, dass ich sie nicht interessiere oder schämen sie sich?
Soll ich meine leiblichen Eltern suchen?
Was würde ich meine Eltern und Großeltern fragen? Zum einen wüsste ich gerne, ob ich (Halb-)Geschwister habe. Das stelle ich mir nämlich irgendwie schön vor. Und natürlich würde ich gerne mehr über die Umstände von damals erfahren, ich würde gerne Fotos aus der Zeit sehen. Ich würde ihnen auch gerne zeigen, was aus mir geworden ist, vielleicht ist das aber auch nur eine Trotz-Reaktion…
Ich habe natürlich auch Angst. Dass sie total asozial sind, dass sie mir ins Gesicht sagen, dass sie keinen Kontakt haben wollen. Dass sie sich nie damit auseinandergesetzt haben, was es mit mir gemacht hat, dass ich im Heim aufgewachsen bin.
Ich bin hin- und hergerissen und wollte daher fragen: Gibt es hier noch jemanden, der nicht bei seinen leiblichen Eltern aufgewachsen ist und im Erwachsenen-Alter Kontakt wollte? Oder sich auch bewusst dagegen entschieden hat? Ich bin sehr sehr dankbar, wenn hier jemand seine Erfahrungen teilt.
7 comments
Ich bin von Geburt an adoptiert und wollte meine leiblichen Eltern in der Pubertät kennen lernen. Zu meiner leiblichen Mutter habe ich jedoch den Kontakt abgebrochen, weil der Kontakt nicht gut für mich ist, so wie sie ihr Leben gestaltet. Mein leiblicher Vater wollte mich nicht kennen lernen. Das hat weh getan. Zum Glück habe ich Menschen um mich herum, die mich verstehen und in dem Prozess begleitet haben.
Mittlerweile bin ich systemische Beraterin und begleite Betroffene in dem Prozess. Es tut gut sich anvertrauen zu können und das Gegenüber einen wirklich versteht.
Ich wünsche Dir alles Gute. Ich schließe mich jedoch meinen Vorrednern an. Hab nicht zu hohe Erwartungen. Das Leben ist kein Hollywood Film, samt Friede Freude…
Liebe Verena ,
mein Mann und ich ziehen drei leibliche, Kinder und ein Pflegekind groß.
noch ist unser Pflegesohn ein Kleinkind und kann nicht verstehen, dass die Leute , die er hin und wieder sieht, seine leiblichen Eltern sind.
Die Kluft , was den beruflichen und sozialen Status angeht und auch unser geordnetes Familienleben, zu der Herkunftsfamilie sind sehr groß.
Trotzdem wünsche ich dem Kleinen , dass er weiß, wo er herkommt.
Ich wünsche auch dir , falls du deine Eltern treffen möchtest, dass du deine Wurzeln kennenlernst.
Ich kann es nicht direkt nachfühlen, aber es muss wichtig sein , zu sehen, woher man welches Talent hat, die Augenfarbe oder ähnliches.
Dass die leiblichen Eltern ihr Leben nicht gemeistert haben, ist nichts erbliches. Sie sind auch Opfer ihrer Biographie, ihrer Kindheit, schlechter Vorbilder , die den Umgang mit Problemen nicht gut vermitteln konnten.
Du hast dein Leben ja offenbar, trotz allem gut gestalten können und darauf darfst du stolz sein. Nimm zu dem Kontakt jemanden mit , der dich auffangen kann und dem du vertraust. Damit die Fragezeichen in deinem Kopf beantwortet werden, ist es bestimmt hilfreich, die beiden kennenzulernen.
Liebe Grüße,
Es kommt darauf an was stärker ist. Einfach die biologischen Wurzeln kennen, OHNE Ansprüche und Erwartungen ( das wird kein heilen oder überhaupt Familienleben). Oder ist die Angst das „Falsche“ zu hören größer?
Hallo, ich bin ohne Vater aufgewachsen, der nur Kontakt hätte haben wollen, wenn meine Mutter auf Unterhalt verzichtet hätte. Jahrelang ist er „unbekannt verzogen“ um sich seiner Pflicht zu entziehen. Trotzdem hatte ich mit Anfang 20 das Bedürfnis ihn zu suchen. Ich war gerade dabei eine Familie zu gründen und brauchte das um frei in die Zukunft zu gehen. Ich hatte sogar eine Adresse, bin dahin gefahren. Er ließ sich jedoch verleugnen und meldete sich auch danach nicht mehr. Es war aufregend aber im Rückblick kein schlimmer Schlag, immer mal wieder hab ich in den letzten Jahren an ihn gedacht, aber ich habe nicht mehr das Bedürfnis nach Kontakt,ich habe für mich damit abgeschlossen.
Alles Gute und egal für was du dich entscheidest, es wird das Richtige sein.
Mein Vater hat seinen leiblichen Vater nie kennen gelernt. Als mein GV verstorben ist, haben wir herraus gefunden dass dieser sogar unsere Adresse hatte aber sich aus Angst vor einer Zurückweisung nie gemeldet hat. Schade….ich hätte meinen GV gerne kennengelernt. Warum mein Vater ihn nicht gesucht hat weis ich nicht genau….
In meiner Schwiegerfamilie ist die GM meines Mannes im Heim aufgewachsen. Sie wollte keinen Kontakt als ihre jüngeren Schwestern sie kontaktiert haben. Nach dem Tod haben die Schwestern Kontakt mit ihrem Sohn (meinem SchwieV) aufgenommen der nun einen grossen Cousinen und Cousins Kreis hat 🙂
Hallo Verena ,
Deine Geschichte berührt mich sehr. Nur ein Stück weit kann ich deine Gefühle nachvollziehen, da ich nicht im Heim, aber seit ich 1.3/4 Jahre alt war, in einer Pflegefamilie groß geworden bin.
Die prekären Verhältnisse in der Herkunftsfamilie haben damals zu einem Gefühl des Verlassenseins geführt. Ich habe zwar eine Pflegefamilie gehabt, daher das Konzept Familie kennengelernt. Aber auch dort war es als nicht leibliches Kind nicht einfach und das Gefühl bedingungsloser Liebe und Geborgenheit stellte sich auch dort nicht ein.
Das wirkt sich auch bei mir in meinen zwischenmenschlichen Beziehungen heute noch aus. Damit bist du absolut nicht allein. Ich habe im Laufe der Kindheit meine jüngere Schwester kennengelernt, die leider großes Pech mit ihrer Familie hatte. Pflegefamilie hatte. Das führte bei ihr zu großen Problemen. Im Verlauf der Pubertät wechselte sie dann zwischen verschiedenen Heimen und Pflegefamilien. Schon damals fühlte ich mich verantwortlich und wollte helfen. Ich war nur 2 Jahre älter. Sie lehnte dann aber die Hilfe ab, sie wollte nicht zu uns in die Familie. Meine Pflegeeltern hätten sie gerne aufgenommen.
Sie wurde mit 17 das erste Mal Mutter, die nächsten Jahre waren super schwierig. Ich habe das meiste davon aber nur am Rande mitbekommen, da ich mich in den jungen 20ern sehr abgrenzen musste.
Ich habe festgestellt, dass mir der Kontakt zu ihr nicht gut tat. Ich habe ihr damals oft geholfen oder versucht zu helfen. Leider hat sie immer wieder die selben Fehler gemacht. Wieder schwanger werden, die Schule wieder abbrechen, aus der Wohnung fremdgeräumt werden weil Kopf in den Sand gesteckt usw. ….
Ihre Partnerschaften waren auch sehr ambivalent und insgesamt eher destabilisierend.
Ich konnte das alles nicht mehr mit ansehen.
Ich habe mit Ende 30 immer noch keinen Kontakt, obwohl ich gehört habe, dass sie nun eine Ausbildung abgeschlossen hat und ihr Leben wohl gut meistert.
Mit meiner leiblichen Mutter habe ich regelmäßig Kontakt über Messenger. Es war all die Jahre eher knapp gehalten.
Außerdem habe ich sie letzten Herbst in ihrer Stadt besucht. Mein Eindruck, dass sie ihr weniges Geld (seit der SS mit mir war sie psychisch krank und nicht arbeitsfähig) nicht für wichtige Dinge einsetzt, bewahrheitete sich. Trotz der gesetzlichen Betreuung die sie seit damals hatte, hatte sie keine warme Jacke, keine dichten warmen Schuhe, etc. Die Kleidung sah aus wie damals in den 80ern und war auch entsprechend verschlissen. Nun war ich in der Situation, sie neu einkleiden und somit versorgen zu können.
Darüber bin ich sehr froh. Aber: kann ich das das nächste Mal auch? Möchte ich das dann oder gar immer?
Ich fühle mich auf eine Art verpflichtet, obwohl ich mir die Verantwortung eigentlich nicht dafür gebe. (Rechtlich wird der Fall nie eintreten, da ich mittlerweile adoptiert wurde)
Es war und ist interessant mit meiner Mutter über das ein oder andere zu sprechen was die Familien meiner Eltern anbetrifft. Die Gewissheit, dass diese Frau mich zur Welt gebracht hat und welche Eigenschaften ich womöglich von ihr oder laut ihrer Aussage von meinen Vater habe, ist unheimlich viel wert. Ich kenne einen Teil meiner Wurzeln.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass ich mich bei einem Treffen in der Öffentlichkeit deutlich vor ihr geekelt habe aufgrund ihres schlechten hygienischen Zustands.
Es kann sein, dass deine Mutter und oder dein Vater auch später oder auch heute noch unter schwierigen Umständen leben.
Es kann sein, dass es unvorstellbar prekäre Verhältnisse sind.
Es kann sein, dass du Geschwister hast, die dort oder in Pflegefamilien und oder Heimen groß geworden sind oder werden, je nach Alter.
Als mein leiblicher Vater (extremer Alkoholiker) starb, trat das Amt an mich heran wegen der Beerdigungskosten.
Im Zuge dessen erfuhr ich, dass ich wohl noch Halbgeschwister von meinem Vater habe. Ich habe lange überlegt ob ich sie kennenlernen möchte. Weil mein Vater all die Jahre so schlimm alkoholkrank war, konnte ich mir ausmalen in welchem Milieu diese Kinder gezeugt wurden. Ich entschied mich damals mit Mitte 20 dagegen. Ich hatte und habe Angst davor mich verantwortlich zu fühlen für diese Kinder.
Wie du siehst, habe ich mich sehr unterschiedlich verhalten.
Für mich persönlich kann ich sagen, dass das Wissen um meine Mutter mir ein Stück Ruhe verschafft hat. Ich glaube auch, dass es sehr wichtig ist zumindest ein Stück der Wurzeln zu kennen.
Bitte lass dich gemeinsam mit deinem Mann eingehend beraten, ob und inwieweit ihr eventuellen Unterhalt für deine Eltern und solche Dinge vermeiden könnt. Prinzipiell bist du immer verpflichtet als leibliches Kind.
Ich wünsche Dir alles Gute!
Ich bin froh dass ich es getan habe, würde aber nicht zu viel erwarten.
Meine Halbschwester z.b. lehnt sämtlichen Kontakt ab und möchte mich auch nicht kennenlernen.
Was schmerzt dich mehr – es nie versucht zu haben oder eine Rückweisung zu erhalten?
Es sind nicht meine Eltern in dem Sinne und trotzdem hat sich ein halt ein Teil meiner Geschichte zu einem Puzzle zusammengefügt, wo vorher ein Teil gefehlt hat. Ich finde den Zeitpunkt, wo du mit Mann und Kind ne eigene Familie hast, eigentlich ziemlich gut gewählt – mir hat das viel Kraft gegeben, dass ich keine Familie gesucht habe, sondern eben nur die biologischen Wurzeln.
Viele Grüße