Ihr Lieben, als wir neulich mal wieder nach euren Themen und geschichten fragten, meldete sich auch Zweifachmama Jill bei uns. Sie war jahrelang heroinabhängig und schaffte dann den Absprung. Heute ist sie Mitte 40 und seit 13 Jahren clean. Was ihr kleiner Chihuahua damit zu tun hatte und wie sie zwei Jahre nach dem letzten Konsum eine Familie gründete, die ihr heute alles bedeutet, erzählt sie uns hier im Interview.
Liebe Jill, erzähl uns doch als Erstes mal einen Schwank aus deiner Kindheit. Welche Erinnerung ist da prägend für dich.
Ich wurde adoptiert, da meine Adoptiveltern angeblich kein zweites Kind bekommen konnten. Kurz nachdem sie mich hatten, wurde meine Mutter aber doch wieder schwanger und bekam eine Tochter.
Ab da war klar: Ich war überflüssig. Und so wurde ich leider auch behandelt. Die Mutter meines Adoptivvaters verbot mir, sie „Oma“ zu nennen, da ich nicht zur Familie gehören würde. Meine Mutter hat zwar immer versucht, mich zu schützen, war aber meinem Adoptivvater hörig.
(Vielleicht ein Hinweis: Ich mache die Unterscheidung „mein Adoptivvater“ und „meine Mutter“ bewusst. Sie war zwar auch „nur“ meine Adoptivmutter, tat aber ihr Bestes, soweit es in ihren Möglichkeiten stand.)
Du bist dann irgendwie auf die schiefe Bahn geraten und in die Drogensucht gerutscht. Wie kam es dazu, dass du heroinabhängig wurdest?
An meinem 9. Geburtstag kam ich in ein von Nonnen geführtes Kinderdorf, ich konnte mich dort einfach nicht integrieren. Ich war auch das einzige Kind dort, das in der Stadt auf die Schule ging, da ich mich in der Heimschule nur langweilte. Dort bekam ich natürlich mit, was für Freiheiten die anderen Kids hatten und wollte das auch. Also fing ich an, dort immer wieder wegzulaufen.
Mit 12 kam ich deshalb in eine Kinder- und Jugendpsychiatrie, von der ich natürlich auch bei jeder sich bietenden Gelegenheit weglief. Danach pendelte ich zwischen Jugendschutzstellen und Straße, auch Kinderstrich.
Irgendwann kam dann die richterliche Anordnung, dass ich in ein geschlossenes Heim solle. Dort kam ich das erste Mal mit Haschisch in Kontakt. Mit 15 bekam ich mein erstes eigenes Apartment, ich fuhr einmal die Woche zur Betreuerin ins Büro um mir mein Geld abzuholen, dass war´s.
Zu der Zeit wurde ich schwanger, verlor aber das Baby im 8. Monat durch Gewalteinwirkung des überforderten, werdenden Vaters. Danach war mir alles egal und mit 16 war ich dann komplett vom Heroin abhängig.
Gab es Menschen, die dich in dieser Zeit da rausholen wollten, die dir helfen wollten?
Tatsächlich nur Streetworker, ansonsten hatte ich niemanden mehr, der sich kümmerte.
Wann hattest du den Tiefpunkt erreicht?
Mein Tiefpunkt: Ich schlief für mehr als zwei Jahre in Notunterkünften, unter Brücken und verkaufte meinen Körper für immer weniger Geld. Hauptsache ich konnte mir Heroin besorgen. Ich war da zwar schon lange im Methadonprogramm, hatte aber Beikonsum.
Wie hast du es dann rausgeschafft aus der Heroinabhängigkeit?
Das verdanke ich tatsächlich meinem Hund. Ich hatte einen kleinen Chihuahua. Als die Polizei mich mal wieder mit Drogen erwischte, hatte ich die Wahl: Gefängnis oder Therapie. Wäre ich ins Gefängnis gegangen, wäre mein Hund im Tierheim gelandet. Also suchte ich eine Therapie, bei der ich meinen Hund mitnehmen konnte.
Zwei Jahre, nachdem du clean warst, kam dein erstes Kind zur Welt. Was hat das verändert in dir?
Einfach alles. Auf einmal war da ein kleines Wesen, das sich auf mich verlassen musste. Ich entschied, jegliche Hilfe anzunehmen, die ich bekommen konnte. Ich hatte ja noch nie etwas mit Kindern zu tun gehabt. Also besorgte ich mir Hilfe durch eine Kinderkrankenschwester, eine ambulante Erziehungshilfe, etc. ich war dann sehr stolz, als diese mir irgendwann sagten, sie machten sich überhaupt keine Sorgen, ich würde das auch ohne sie schaffen.
Du hast noch ein Kind bekommen, heute sind die beiden elf und fünfeinhalb Jahre alt. Sprichst du mit ihnen über deine Vergangenheit?
Bis jetzt noch nicht. Die Große kriegt ein bisschen mit, wenn ich mit meiner besten Freundin telefoniere. Ich möchte aber nicht, dass sie alles wissen. Ich habe Angst, dass sie irgendwann schlecht über mich denken, aufgrund meiner Vergangenheit.
Wenn du heute aus Muttersicht auf deine eigene Jugend schaust: Entwickelst du dann Mitgefühl mit deinen Eltern bzw. mit deinem Umfeld?
Nein. Ich weiß inzwischen, dass meine leibliche Mutter auch drogenabhängig war, als sie mich bekam. Ich verstehe nicht, warum sie weder für mich noch für meinen jüngeren Halbbruder clean werden konnte. Ich empfinde nur mit meiner Mutter Mitgefühl, dass sie bis zum Ende in dieser toxischen Beziehung feststeckte.
Was wünschst du dir für deine eigenen Kinder?
Dass sie sich immer geborgen fühlen und wissen, egal was ist, sie können zu mir kommen und wir finden eine Lösung. Und niemals mit Drogen anfangen, sonst müsste ich sie ins Kloster stecken 😉
Und was wünschst du dir selbst für deine Zukunft?
Dass, wenn mein Sohn in die Schule kommt, ich endlich eine Gelegenheit habe, mich selbst zu verwirklichen. Vielleicht meine Umschulung fertig machen, die ich wegen der Schwangerschaft unterbrechen musste. Auf jeden Fall möchte ich auf eigenen Beinen stehen und zeigen, was in mir steckt.
2 comments
Alles Gute weiterhin! Nein, Du bist nicht “ nur“ für Andere clean geworden, sonst hätte es nicht funktioniert. Das geht nur wenn ich selbst es wirklich will ( und zwar auch für MICH).Deshalb mach Dir das bewusst, schmälere Deine Leistung nicht. Das hast Du ganz allein geleistet niemand sonst. Zu wissen, wer man ist und zu sich selbst zu stehen, ist der stärkste Schutz vor Rückfällen. ( ich will natürlich nicht die Wichtigkeit/ Wertigkeit Deiner Kinder oder des Hundes absprechen)
Ich habe großen Respekt vor Ihrer Lebensleistung. Aus dieser Spirale sich herauszuarbeiten bedeutet Disziplin,Ehrgeiz,Mut,Ausdauer und vieles vieles mehr.
Ich drücke fest die Daumen für die Weiterbildung.
Seien Sie stolz auf das, was sie geschaffen haben. Das gelingt nur ganz ganz wenigen.