Ihr Lieben, als Jasmin (30) krank im Bett lag, hörte sie plötzlich ihre Tochter (10) schreien, der Oma ginge es nicht gut. Sofort rannte sie los – und reanimierte ihre Mutter (53), die einen Herzinfarkt erlitten hatte. Damit rettete sie ihr – gemeinsam mit der Tante, die noch dazukam – das Leben. Hier erzählt sie von den Vormittag, der alles veränderte und der ihr zeigte: Ein Erste-Hilfe-Kurs kann Leben retten!
Du Liebe, erzähl mal von dem Tag, an dem alles so anders lief, als geplant.
Es war der 29.11.2022. Eigentlich war am Abend zuvor alles schon ein bisschen anders. Meine Tochter hatte bei meiner Mutter im Zimmer geschlafen (wir leben gemeinsam in einer WG), weil wir uns gestritten hatten und sie lieber zu Oma wollte.
Ich bin wie gewohnt morgens aufgewacht, allerdings war ich noch dabei, einen grippalen Infekt auszukurieren und von den Strapazen der davor liegenden Wochen so kaputt, dass ich einfach liegenblieb. Ich hörte, dass sowohl meine Mutter als auch meine Tochter schon wach waren.
Ich arbeite meistens um diese Uhrzeit schon, deshalb ist meine Mama es gewohnt, meine Tochter morgens für die Schule fertig zu machen – und so war es auch an diesem Tag. Es war erst der zweite Tag in den letzten drei Wochen, an dem sie sich mal gut fühlte und dann wollte sie auch immer helfen, das hatten wir vorher besprochen. Sie kämpfte seit einigen Monaten mit Brustkrebs. Gegen 5:46 Uhr hörte ich meine Tochter allerdings panisch schreien.
Ich sprang sofort. In dem Moment schrie sie ein weiteres Mal. Im Wohnzimmer angekommen sah ich meine Mutter in der Tür liegen, sie hatte zu dem Zeitpunkt noch Puls, war aber nicht mehr ansprechbar. Ich wies meine Tochter an, die 112 zu wählen und dann meine Tante, die glücklicherweise eine Etage über uns wohnt, zu holen.
Wie ging es dann weiter?
Als meine Tante ankam, hörte meine Mutter gerade auf zu atmen, ich konnte keinen Puls mehr ertasten. Gemeinsam drehten wir sie auf den Rücken und ich begann mit einer Herzdruckmassage noch bevor der Disponent am Telefon uns anwies, eine genau solche anzuwenden.
Ich habe etwa 7 oder 8 Minuten reanimiert, in der Zeit hatten wir meine Mutter zweimal kurzzeitig wieder, dann übernahm meine Tante, bis der Rettungsdienst nach etwa 10 Minuten eintraf. Nach etwa fünf weiteren Minuten und zwei Elektroschocks hörte ich dann endlich das erlösende: „Wir haben einen Rhythmus.“
Meine Tante hat kurzzeitig die Beatmung übernommen, genau kann ich mich an den Moment aber nicht mehr erinnern. Es war einfach wie im Film. Es hat Stunden gedauert, bis ich Informationen hatte, erst gegen 18 Uhr konnte ich wirklich mit Ärzten sprechen und erst am nächsten Tag durfte zu ihr.
Alles, was ich über Tag wusste, war: Sie ist wach, ansprechbar, aber desorientiert und vorübergehend stabil. Es hat drei Tage gedauert bis sie über den Berg war…
Du konntest deiner Mutter damit das Leben retten. Was ist das für ein Gefühl?
Tatsächlich ist es weniger heldenhaft als es sich anhört, es ist viel mehr traumatisch. Ich habe wochenlang kaum geschlafen. Wenn ich die Augen geschlossen habe, sah ich meine tote Mutter vor mir, mit dem Gesicht blau angelaufen.
Ich hörte den rasselnden Atem, den ich während der Situation erfolgreich verdrängt habe. Noch heute wache ich regelmäßig nachts auf und stelle mich an ihr Bett, um ihr beim Atmen zuzuhören. Um aus dieser Schleife wieder herauszukommen brauchte ich Hilfe. Inzwischen geht es mir besser und ein Gefühl von Stolz hat sich eingeschlichen, ein Gefühl der Erleichterung.
Woher wusstest du in dem Moment, was zu tun war?
Ich bin Krankenpflegerin von Beruf, aber ich möchte nicht lügen – im Endeffekt habe ich instinktiv gehandelt. Zusätzlich hat der Disponent der Rettungsleitstelle uns sehr ruhig und überlegt durch die Situation geführt, einen Rhythmus vorgegeben und uns weiter motiviert. Er hat uns auf dem Laufenden gehalten, wann der Rettungsdienst in etwa kommen würde und war telefonisch an unserer Seite, bis die beiden übernommen haben.
Hast du deine Tochter in dem Moment wahrgenommen? Wie alt war sie zu dem Zeitpunkt?
Meine Tochter war zu dem Zeitpunkt zehn Jahre alt, stand wenige Tage vor ihrem elften Geburtstag.
Ich muss zugeben: Während der Reanimation selbst hatte ich einfach nur einen Tunnelblick und habe nur darüber nachgedacht, dass dort meine Mama liegt und stirbt.
Erst als meine Mutter wieder einen Herzschlag hatte, konnte ich meine Tochter wirklich wahrnehmen und in den Arm nehmen und sie trösten. Zum Glück war sie in dieser Situation jedoch nicht alleine. Mein Cousin hat sich ihrer angenommen, gemeinsam haben sie auf den Rettungswagen gewartet und diesen eingewiesen. Meine Tochter hatte nicht einmal Schuhe angezogen.
Wie hast du diesen dramatischen Morgen mit deiner Tochter nachträglich aufgearbeitet? Hatte sie Fragen? Ängste? Sorgen? Stolz?
Meine Tochter ist der stärkste und mutigste Mensch, den ich kenne. Wir haben den restlichen Tag bei unserer Familie verbracht und auch die nachfolgenden Tage waren wir kaum in unserer Wohnung.
Der Notfallsanitäter kam später am Vormittag noch einmal vorbei und hat mit uns geredet, auch mit meiner Tochter, sie gelobt und ihr Mut zugesprochen. Wir haben viel darüber geredet, ich habe ihr jeden Tag berichtet, wie es ihrer Oma geht, ebenso habe ich sie auf unbestimmte Zeit von der Schule befreit, sie hat die Schule erst nach den Weihnachtsferien wieder besucht.
Als ich merkte, dass ich bei meiner Tochter nicht weiterkam, sie nicht darüber reden wollte, habe ich einen Seelsorger hinzugezogen. Dieses Gespräch hat ihr sehr geholfen. Am Nikolaustag konnte sie dann endlich zu ihrer Oma.
Das war mir sehr wichtig, denn ich wünschte mir, dass sie das Bild ihrer ums Leben ringenden Oma nicht mehr so präsent im Kopf hat. Leider hatte die Klinik, in der meine Mutter lag, zu dem Zeitpunkt noch sehr strenge Corona-Regeln, deshalb brauchten wir für jeden Besuch eine Sonderregelung.
Wir kämpfen noch immer ein wenig mit den Nachwirkungen. Meine Tochter kann nicht alleine schlafen und ist sehr unsicher in vielem, was sie tut. Allerdings reden wir sehr viel darüber, auch mit meiner Mutter gemeinsam. So können wir alle das Erlebte aufarbeiten.
Deine Mutter hatte eine lange Phase des Brustkrebses hinter sich, wie geht es ihr heute?
Aktuell liegt meine Mama wieder im Krankenhaus, die Operationswunde ihrer gebrochenen Rippen verheilt nicht und entzündet sich immer mehr. Sie hat noch starke Einschränkungen im Gangbild durch das wochenlange Liegen nach dem Herzinfarkt, sie braucht einen Rollator.
In nächster Zeit steht noch eine Operation des Krebses an, das Gewebe um den Tumor (welcher zum Glück weg ist) muss – genauso wie ein Lymphknoten – entfernt werden. Der Weg ist noch lang, aber gemeinsam stehen wir auch das durch.
Wie redet sie heute über dich und über das, was du da getan hast?
Meine Mama ist unglaublich stolz und erzählt jedem, ob er es hören will oder nicht, dass wir ihre Lebensretterinnen sind. Sie ist unglaublich dankbar. Wir hatten vorher häufiger Differenzen, das hat sich komplett geändert.
Kommen dir selbst noch Flashbacks? Denkst du häufiger dran? Auch daran, was gewesen wäre, wenn deine Mama allein gewesen wäre? Oder niemand da, der sich eine Reanimation zutraut?
Ich denke oft daran, was gewesen wäre. Hätte es was geändert, wenn ich mit aufgestanden wäre? Was wäre gewesen, wenn sie den Herzinfarkt im Schlaf gehabt hätte? Wenn mein grippaler Infekt ausgeheilt gewesen wäre und ich auf der Arbeit gewesen wäre?
Sie wollte gerade zum Bäcker – was wäre gewesen, hätte sie die Wohnung schon verlassen oder wäre vielleicht sogar schon im Auto gewesen? Was wäre gewesen, wenn meine Tante arbeiten gewesen wäre? Diese Fragen machen mir alle unglaublich Angst, schon allein, weil man uns ganz klar gesagt hat, hätte es zwei Minuten länger gedauert, hätte sie nicht überlebt.
Hab ich zu fest gedrückt? Hab ich falsch gedrückt? Meine Mutti hatte zehn (!) gebrochene Rippen. Ich glaube, es gehört zum Verarbeitungsprozess dazu, sich solche Fragen zu stellen. Eine Antwort darauf gibt es – zum Glück – nicht.
Ich habe mir Anfang Januar ein Tattoo für uns drei Stechen lassen. Das ist meine Art damit umzugehen.
Was möchtest du uns anderen mit auf den Weg geben? Sollten wir alle unseren Erst-Hilfe-Kurs nochmal auffrischen?
Zögert nicht! Lieber einmal zu viel reanimieren als einmal zu wenig. Ihr könnt eigentlich nichts falsch machen. Auch wenn ihr noch nie reanimiert habt, einfach drauf losdrücken, so hart das klingt. Für die Person, die da vor euch liegt, könnt ihr es nicht schlimmer machen – nur besser.
Ich glaube, es täte uns allen gut, unsere Erste-Hilfe-Kurse regelmäßig aufzufrischen. Und wenn es nur online ist. Wir sollten auch unseren Kindern die Grundlagen der ersten Hilfe beibringen. Sie sollten so früh wie möglich wissen, welche Telefonnummer im Notfall zu wählen ist oder was sie tun können.
Sie müssen nicht reanimieren können, aber sie sollten da durchkommen – ohne Panik. Es wäre schön, wenn schon ab der Grundschule einmal im Schuljahr ein Erste-Hilfe-Kurs stattfände. Nach Alter oder Jahrgang gestaffelt, sodass die größeren Kinder schon in der Lage sind, einen solchen Notfall zu meistern. In unserem – und in so vielen anderen Fällen – konnten und können damit einfach Leben gerettet werden.
2 comments
Als Ärztin:
Rippenbrüche bei Reanismationen sind ganz normal. Es geht nicht anders. Die Rippen sind unter anderem dazu da das Herz zu schützen. Wir können erst tief genug drücken, wenn die durch sind. Also mach dir keine Vorwürfe! Man kann nicht „vorsichtig“ reanimieren.
Ansonsten unterschreibe ich alles. Die meisten plötzlichen Reanimationen finden zu Hause statt, das heißt, dass man so einen erste Hilfe Kurs in erster Linie für die Menschen macht, die man liebt.
Und für Kinder ist das Hilflose zusehen, während ein Angehöriger stirbt sicher traumatischer, als regelmäßige Erste Hilfe Kurse. ALLE sollten das können.
Hut ab! Toll gemacht! Sei stolz auf dich!
Liebe Autorin, toll, dass Ihr das so gut gemeistert habt! Meine Mutti hatte vor knapp 8 Jahren auch einen Herzinfarkt, allerdings trat der Herzstillstand erst im RTW ein, so dass sie sofort reanimiert wurde. Mein Vati hat daraufhin auch nochmal einen Erste- Hilfe- Kurs. Leider hatte meine Mutti vor 1,5 Jahren einen 2. Herzinfarkt, am Abend im Bett. Als mein Vati ca. 30 Minuten später auch ins Bett ging, fand er sie leblos vor. Leider konnte er ihr trotz sofortiger Reanimation, trotz dass der Rettungsdienst schnell da war, nicht mehr helfen. Ich sehe mit der Weile die 6 Jahre seit ihrem Herzinfarkt davor als Geschenk an, in denen wir zum Glück noch viel schöne Zeit zusammen hatten. Genießt die Tage zusammen, sei froh, dass die Umstände (alle noch zu Hause) so waren, dass es gut ausgegangen ist! Meine Mutti hatte nach der ersten Reanimation auch gebrochene Rippen, sie sind zum Glück gut geheilt, so dass sie noch eine schöne Zeit hatte. Macht es Euch schön zusammen!