Ich bin eine Bonus-Mama: Über die Herausforderungen einer Patchwork-Familie

Bonus-Mama

Ihr Lieben, uns ist es hier wichtig, ganz unterschiedliche Familienmodelle zu zeigen, viele von euch leben ja in Patchwork-Situationen, haben Stiefkinder, sind eine Bonus-Mama. Dass das Eltern und Kinder vor ganz spezielle Herausforderungen stellt, ist klar. Umso wichtiger ist es, von anderen Familien zu lesen und sich austauschen. Wir danken Jule heute für den Einblick in ihren Alltag als Bonus-Mama.

Liebe Jule, du bist eine Bonus-Mama, das heißt dein Partner hat Kinder mit in die Beziehung gebracht. Wie lange seid ihr schon zusammen und wie alt waren die Kids, als ihr euch kennengelernt habt?

Wir sind jetzt, fast auf den Tag genau, sechs Jahre zusammen. Der Kindsvater hat mir seine Kinder eine Woche nach unserem „Zusammenkommen“ vorgestellt. Meine Bonustochter Annika war damals 10 Jahre, ihr Bruder Tommi 7 Jahre alt. 

Wie war die ursprüngliche Regelung? Wie oft waren die Kinder bei euch?

Die Eltern lebten das klassische Residenzmodell, das heißt die Kinder lebten bei der Mutter und waren zum Umgang jedes zweite Wochenende beim Kindsvater. Die Schulferien wurden hälftig aufgeteilt. In Coronazeiten waren die Kinder oft bei uns, da sowohl der Kindsvater als auch ich die Möglichkeit hatten, Homeoffice zu machen, was der Mutter nicht möglich war. 

Wie hat das geklappt? Wurdest du gut akzeptiert?

Anfangs war es wirklich ganz, ganz toll. Ich wurde von den Kindern sofort akzeptiert und sie freuten sich, nicht nur Papa zu besuchen, sondern auch Jule. Ich freute mich in den ersten Jahren wirklich riesig auf die Umgangswochenenden (natürlich war ich nach drei Wochen Sommerferien mit den Kindern auch froh, wieder nur Zweisamkeit zu haben ;-)).

Nach ca. zwei Jahren wurde es anstrengender: Annika war in der Pubertät angekommen und ich spürte die Auswirkungen des Loyalitätskonfliktes, den sie zwischen ihrer Mutter und mir empfand. Vieles, was ich tat, wurde plötzlich in Frage gestellt. In diesem Zeitraum habe ich auch das „Mini-Wife-Syndrom“ kennengelernt, was kurz gesagt bedeutet, dass die Tochter denkt, sie wäre die bessere Partnerin für den Papa und sich auch entsprechend verhält. 

Vor einem Jahr hat sich aber einiges verändert dann, die inzwischen 15-Jährige Annika lebt nun bei euch. Wie kam es dazu?

Am Valentinstag 2022 kam ein Anruf von Annika, in dem sie den Vater bat, sie abzuholen, da sie nach einem Streit mit ihrer Mutter zu einer Freundin geflüchtet war. Der Papa holte sie sofort ab und brachte sie am nächsten Morgen auch zur Schule, was bei uns bedeutet, dass über 100 km gefahren werden mussten.

Die Nachfrage bei der Mutter, wie es weiterginge, endete mit der Antwort, dass sie nun den Vater in der Pflicht sähe und Annika bei ihm leben solle. Wir stimmten dem zu; Annika war natürlich gar nicht begeistert, da ein Umzug zu uns zwingend auch einen Schulwechsel bedeutete und auch, ihre Freunde nicht mehr täglich zu sehen. Annika hoffte noch auf einen Termin zur Klärung beim Jugendamt, diesem Termin bliebt die Mutter aber fern.

Obwohl die Mutter wollte, dass ihre Tochter zu uns ziehen sollte, verweigerte sie die Unterschrift zur Schulanmeldung. Uns blieb kein anderer Weg, als einen Beschluss des Gerichts zum Schulwechsel zu erwirken. Annika versuchte zwar noch in einem Gespräch mit der Mutter, sie zur Unterschrift zu bewegen, doch auch das blieb erfolglos.

Trotz „Eilantrag“ vor Gericht dauerte es dann insgesamt zwei Monate, bis das Gericht entschied, dass Annika bei uns die Schule besuchen konnte. Ihr Papa fuhr sie die ganze Zeit jeden Morgen über 100 km zur Schule und holte sie nachmittags wieder ab – eine sehr anstrengende Zeit für alle Beteiligten. Seit den Osterferien geht Annika bei uns zur Schule.

Wie war das für dich, plötzlich einen Teenie im Haus zu haben?

Patchwork
Foto: pixabay

Für mich war es gar nicht schlimm oder besonders, einen Teenie im Haus zu haben, da ich Annika ja schon seit fünf Jahren kannte und es gewohnt war, sie bei uns wohnen zu haben. Trotzdem ist es natürlich eine ganz andere Situation, ob man ein Kind 100% bei sich leben hat oder ob es nur an jedem zweiten Wochenende da ist.

Es gab plötzlich ganz neue Diskussionen. Fragen wie „Wann wird an Schultagen ins Bett gegangen?“ – „Wann und wie wird das Kinderzimmer aufgeräumt?“ – „Welche Aufgaben werden im Haushalt übernommen?“ usw. mussten plötzlich beantwortet werden.

Die Vorstellungen des Teenies waren dabei meist nicht deckungsgleich mit den Vorstellungen der Erwachsenen. Die Fragen waren beim Wochenendumgang nicht zu beantworten gewesen, weil die Scheidungskinder am Wochenende oft eine „Schonung“ durch den Papa erfuhren.

Wenn die Kinder nur vier Tage im Monat da sind, müssen sie nicht noch Müll rausbringen oder ihre Kinderzimmer aufräumen. All das musste neu „verhandelt“ werden und die Einhaltung des Vereinbarten überwacht werden – wobei ich sagen muss, dass ein Großteil der Verantwortung beim Kindsvater liegt, der glücklicherweise Homeoffice machen kann und so die meisten Betreuungsaufgaben übernimmt.

Mein Leben wurde trotzdem ziemlich durchgerüttelt, denn statt erholsamer Paarwochenenden mit den Kindsvater hieß es nun „Übernachtungspartys mit den Mädels“ oder „Mathe-Intensiv-kurz-vor-Klausur-Lern-Wochenende“ oder oder oder…

Und ein Teenager, bei dem gerade Großbaustelle im Gehirn ist, ist natürlich auch eine besondere Herausforderung. Wie sagte eine Freundin letztens so schön „einen Teenager zu lieben, ist wie einen Kaktus zu umarmen.“

Wie ist der Kontakt zur Kindsmutter? Wie versteht ihr euch? Und wie die Tochter mit der Mutter?

Der Kontakt zur Kindsmutter ist leider unterirdisch schlecht. Sie verweigert den Kontakt zum Kindsvater, was sogar dazu geführt hat, dass sie bei beiden Gerichtsterminen nicht vor Gericht erschienen ist. Aktuell regeln wir die Umgänge des Sohnes, der weiterhin bei der Mutter lebt, per Email an sie. Falls ihr etwas nicht passt, ist der Sohn das Sprachrohr. 

Ähnlich kompliziert sieht es leider auch zwischen Mutter und Tochter aus: Jegliche Versuche, die beiden wieder zusammenzuführen, sind gescheitert. An Weihnachten hat Annika eine Stunde mit ihrer Mutter und ihrem Bruder gefrühstückt und wollte dann direkt wieder abgeholt werden. Dies war auch das erste richtige Treffen zwischen Mutter und Tochter seit dem Auszug im Februar. 

Ich selber hatte nie direkten Kontakt zur Kindsmutter. Zwischenzeitlich hatten wir uns (u.a. zur Kommunion des Sohnes) wirklich gut verstanden. Seit zwei Jahren tut sie aber leider (wieder) so, als wäre der Kindsvater alleinlebend und ich nicht existent. Früher habe ich es nicht verstanden, warum der Kindsvater mich von ihr fernhielt; heute bin ich dankbar dafür. 

Hast du schon mal den Satz gehört „Du hast mir gar nichts zu sagen, du bist nicht meine Mutter?“

Lustigerweise habe ich den Satz tatsächlich noch nicht gehört, was meines Erachtens aber auch daran liegt, dass der Kindsvater von vornherein viel Wert daraufgelegt hat, dass die Kinder mich respektieren und meine „Ansagen“ gleichbedeutend mit seinen sind. 

Einen Spruch, den ich von anderen schon öfter als „Bonusmutter“ gehört habe, ist jedoch: „Du bist keine Mutter. Maße Dir das nicht an. Und Bonus schon mal gar nicht.“ 

Dem kann ich zwei Dinge entgegnen: Es ist mir als Bonusmutter sehr wohl bewusst, dass ich nicht die Mutter bin und ich will da auch gar nichts der Mutter wegnehmen. Ich bin „Bonus“, d.h. on top, zusätzlich. Zusätzlich zur Mama, die es schon gibt. Ich bin für das Kind mit da, wenn die Mama nicht da ist. Ich ermögliche dem Kind, andere Erfahrungen zu machen als das Kind mit der Mutter macht. Ich sage bewusst „andere“ Erfahrungen – nicht „bessere“.

Was ich aber viel spannender finde, ist die Tatsache, welche Rolle ich für Annika einnehme. Denn ich bin in unserem Haushalt für sie nicht große Schwester, nicht WG-Mitbewohnerin, nicht crazy Tante, sondern ich repräsentiere für sie die Rolle der Mutter. Das kann ich besonders daran ablesen, dass ich mit Ignorieren oder Missachtung gestraft werde – obwohl zwischen uns nichts passiert ist – wenn sie Stress mit ihrer leiblichen Mutter hat. Das zu entdecken, zu erkennen und damit umzugehen, hat bestimmt einige Monate gedauert. 

Was ist das Schönste und das Schwerste am Bonus-Mutter-sein?

Das Schönste am Bonus-Mutter-Sein ist es, dass ich regelmäßig Kinder in meinem Leben habe und sie mir das Vertrauen schenken, dass ich sie auf ihrem Weg durchs Leben begleiten darf. Das Schwerste – finde ich – ist seinen Platz in dem bestehenden Geflecht zu finden: einen Platz, der für alle Beteiligten stimmig ist und der vor allen Dingen für mich funktioniert.

Welchen Fehler sollten Bonusmamas möglichst nicht machen?

Aus meiner Erfahrung würde ich sagen, dass man immer versuchen sollte, auf seine eigenen Bedürfnisse zu achten und sich von den Stimmen oder Meinungen aus dem Außen möglichst wenig beeinflussen zu lassen. Das klingt egoistisch und man bekommt dann oft zu hören „Du wolltest doch den Mann mit Kindern. Du wusstest doch, worauf Du Dich einlässt.“

Denn genau das wussten wir nicht. Genauso wenig, wie Mütter und Väter, die Kinder bekommen, wissen, auf was sie sich einlassen, genauso wenig wissen wir Bonusmütter das. Die Kinder entwickeln und verändern sich, das Verhältnis zur Kindsmutter ändert sich, äußere Umstände ändern sich, die Beziehung zum Kindsvater ändert sich und ich selber ändere mich. Wichtig ist es, auf die eigenen Bedürfnisse zu hören und diese auch auszusprechen. Gerade bei Scheidungskindern dreht sich oft alles um das Wohlergehen der Kinder und man selber läuft dann manchmal im Hamsterrad mit.

Oft habe ich mich schlecht gefühlt, wenn ich an Umgangswochenenden ohne Partner und Kinder etwas unternommen habe. Aber mir hat es dann geholfen, mir vor Auge zu führen, dass das Umgangswochenende dazu da ist, dass die Kinder den Umgang mit ihrem Papa haben und nicht mit ihrer Bonusmutter.

Außerdem finde ich es auch wichtig, dass die Kinder ihren Papa zeitweise „exklusiv“ haben. Und genauso wie man es möglich macht, dass die Kinder zum Fußballspiel, zum Kindergeburtstag oder wir als Familie gemeinsam in den Indoor-Spielplatz (von mir auch gerne die Indoor-Hölle genannt) gehen, genauso darf ich als Bonusmutter auch mal das machen, wonach mir ist. 

Auch jetzt in unserer Situation, wo Annika immer da ist und nicht jedes zweite Wochenende zu ihrer Mutter geht, ist es wichtig, dass ich mir Zeit nur für mich nehme und wir auch Zeit als Paar einplanen, denn die Paarbeziehung ist das A und O für ein funktionierendes Patchworkleben.

Was hast du über dich durch das letzte Jahr gelernt? 

Ich als Kontrolletti habe im letzten Jahr gelernt, dass ich nicht immer und überall die Kontrolle haben muss und das Leben trotzdem funktioniert. Gerade im Patchwork gibt es so viele Teilnehmer auf dem Spielfeld, die das Geschehen beeinflussen. Man kann da nicht alles kontrollieren und oft läuft es auch nicht so, wie man es vielleicht alleine entschieden hätte, aber – das ist das Tolle – es funktioniert dann oft trotzdem. Nur halt anders. Hier weiterhin Vertrauen zu haben und einfach noch entspannter zu werden, ist mein Ziel für dieses Jahr.


Wer noch mehr über Bonusmütter lesen will: Jule bloggt auf www.bonusmutter.de über ihr Leben mit Partner Marc und den Bonuskindern Annika und Tommi. Im Bonusmutter.de Podcast ermöglicht sie anderen Bonusmüttern ihre Geschichte zu erzählen. 

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1 comment

  1. Danke für deinen ehrlichen Einblick in dein Leben als Bonus-Mama. Es ist wichtig, die Herausforderungen und Freuden von Patchwork-Familien zu teilen und zu verstehen. Deine Gedanken zur Selbstfürsorge und zur Bedeutung der Paarbeziehung sind wertvoll. Jede Familie ist einzigartig, und es ist inspirierend zu sehen, wie du dich den Veränderungen angepasst hast und daran gewachsen bist. Weiterhin viel Erfolg auf eurem Weg als Patchwork-Familie!

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