Ihr Lieben, eine Abtreibung ist ein Thema, das man nicht einfach mal so beim Kaffeeklatsch bespricht. Es ist eine Entscheidung, die kaum eine Frau leichtfertig trifft… und die Emotionen freisetzt. Eine Frau kann überzeugt sein, das Richtige getan zu haben – und trotzdem trauern. Wo soll sie hin mit dieser Trauer? Wer versteht sie, bringt Mitgefühl auf?
„Du hast dich doch schließlich zum Schwangerschaftsabbruch entschieden, wo ist denn jetzt das Problem?“ Aber so einfach ist es nicht. Manche Frauen trauern um die Umstände, die dazu geführt haben, dass es halt nicht ging. Stellen sich vielleicht auch die Frage, ob es nicht doch irgendwie geklappt hätte. Waren im Herzen vielleicht bereit, hatten aber nicht die finanzielle Sicherheit, die Gründe sind so vielschichtig wie unterschiedlich.
Trauer nach der Abtreibung: Simone hilft
Simone hat es sich zur Aufgabe gemacht, Frauen in dieser Lage zu helfen, sie bietet wertfreie Einzelbegleitung und moderierte Selbsthilfegruppen für Frauen an, die sich nach dem Eingriff leer fühlen oder einfach nicht aus dem Gefühlchaos rausfinden – egal, ob nach Beendigung einer ungeplanten Schwangerschaft oder nach dem Abbruch aufgrund einer medizinischen Indikation.
Es ist ein Abschied und Abschiede können Trauerbegleitung nötig machen. Mit viel Verständnis für die Situation und Empathie, „die von Herzen kommt“ hilft Simone dabei, Wege aus der Sackgasse zu finden und die Abtreibung psychisch zu verarbeiten. Hier kommt ihr Gastbeitrag mit faktenreichem Einstieg und Fallbeispielen von Frauen, die sie begleitet hat.
Schwangerschaftsabbruch: 100.000 pro Jahr
Um gleich mal den Mythos zu entzaubern: In Deutschland werden jährlich rund 100.000 Schwangerschaften unterbrochen, ein Abbruch ist also ein gar nicht mal so unwahrscheinliches Erlebnis im Leben einer Frau. Statistisch gesehen betrifft das ungefähr jede Vierte. Gerade erst wurden die neuen Zahlen für das zweite Quartal 20022 in deutschland bekannt gegeben, zwischen April und Juni haben rund 25.600 Frauen eine Abtreibung vornehmen lassen, das sind 11 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum.
Die Mehrheit der Frauen, die eine Schwangerschaft abbrechen, haben bereits Kinder, sind also bereits Mutter. Sie wissen genau, was eine Schwangerschaft und mögliche Geburt eines Kindes bedeutet. Die meisten Abbrüche finden vor dem 25. und nach dem 35. Lebensjahr statt. Die WHO empfiehlt einen hürdenfreien Zugang ohne Stigmatisierungen und sieht Schwangerschaftsabbrüche als Teil einer reproduktiven Gesundheitsversorgung.
Straffreiheit nur durch verpflichtende Beratung
Trotzdem klinkt sich hierzulande der Staat in diese persönliche Lebensentscheidung ein und sieht eine verpflichtende Beratung vor, die einen Abbruch innerhalb der 12-Wochen-Fristenregelung überhaupt erst straffrei möglich macht. Wirklich, die Regelung befindet sich im Strafgesetzbuch, wenn das allein nicht schon irgendwie stigmatisierend wirkt… Dazu haben natürlich Hinz und Kunz eine eigene Meinung dazu und fühlen sich zum Teil aufgerufen, betroffenen Frauen ihre eigene Meinung als Empfehlung auszusprechen oder sie im Internet oder auf dem Weg zur gynäkologischen Praxis gar mit hässlichen Gemeinheiten zu überziehen.
Eine Abtreibung psychisch zu verarbeiten ist in diesem Klima verständlicherweise an sich schon schwierig. Ich selbst fand und finde das eine schreiende Ungerechtigkeit und begann darum im Oktober letzten Jahres, Frauen online zu begleiten, die nach dem Abbruch gemerkt haben, dass sie aus dem Grübeln und der Traurigkeit nicht mehr rauskommen.
Tabu: Trauer nach einem Schwangerschaftsabbruch
Als Trauerbegleiterin kann ich sehen, in welche Not Frauen geraten, da ihnen das Recht auf ihre Bedürfnisse und Gefühle aberkannt wird. Das geschieht aus unterschiedlichen Gründen, aber allen betroffenen Frauen ist gemein, dass sie in einer ziemlich einsamen Tabuecke landen.
Zum Beispiel Clara (alle genannten Namen sind geändert). Sie lebt in einem liberalen Umfeld, wo das Recht auf Selbstbestimmung selbstverständlich ist. Nach dem Abbruch stößt sie auf Unverständnis, weil sie sich todtraurig fühlt. Obwohl sie weiß, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, fühlt sie sich nicht selbstermächtigt, sondern einfach nur leer.
„Wir alle haben abgetrieben.“
Oder Esther: Sie hat sich schweren Herzens gegen eine weitere Schwangerschaft entschieden, um ihren drei Kindern gerecht zu werden. Die Familie ist schon an der Belastungsgrenze und insbesondere ihr Mann hatte große Sorge, dass mit einem möglichen weiteren Kind das Familiengefüge völlig aus den Fugen gerät. Trotzdem ist sie einer Gedankenspirale gefanden: „Was wäre, wenn es doch mit vier Kindern gut geklappt hätte?“ Ihre Freundinnen und ihr Mann können oder wollen das nicht verstehen.
Charlotte ist chronisch krank und in einer finanziell bescheidenen Situation. Ihr Freund hat sie völlig überfordert verlassen, als er von der Schwangerschaft erfuhr. Das hielt ihn später nicht zurück, sie als „Mör…erin“ zu bezeichnen. Sie fühlt sich schwer enttäuscht, verletzt und muss sich immer wieder selbst gut zureden, dass eine Mutterschaft mit ihrer Gesundheitssituation nicht vereinbar gewesen wäre.
Selina steckt in einer innerlichen Sackgasse fest, weil sie sich ständig vorhält, dass sie sich ja schließlich selbst dafür entschieden hat, die Schwangerschaft nicht fortzuführen. Sie ist einem Konflikt, da sie einerseits trauert und andrerseits über ihre eigenen Gefühle verächtlich denkt.
In jeder Krise steckt auch Potential
In jeder Krise liegt ein Potential… Das sagt sich so leicht, fühlt sich jedoch oft erstmal nicht so an. Aber nach meiner Erfahrung trifft das auch wirklich fast immer zu. Woher ich den unerschütterlichen Glauben daran nehme?
Die Frauen, die in meine Online-Begleitung kommen sind ins Straucheln geraten. Trotzdem sind es Frauen, die über Lebenserfahrung, Ressourcen und Kompetenzen verfügen. Ich nutze oft das Bild einer Waage, wenn Trauer und Schmerz überwiegen. Dann geht es erstmal darum, die Waagschale für das, was Freude und Kraft gibt, bewusst zu füllen.
Ein Mangel an Selbstliebe zeigt sich nach einem Schwangerschaftsabbruch beispielsweise sehr deutlich. Darin liegt aber eben auch die große Chance: Die Entwicklung von Selbstliebe und Dankbarkeit für das, was man bereits im Leben hat.
Gestärkt aus der Ausnahmesituation heraus
In einer krisenhaften Ausnahmesituation ist es paradoxerweise oft einfacher, längst überfällige Dinge zu ändern. Der Job, der einen ausbluten lässt, die Freundschaft, die nicht verlässlich ist, ein Hobby, das wieder gelebt werden möchte.
Es lohnt sich, durch diesen Prozess zu gehen! Am anderen Ende des Tunnels winkt nämlich die Aussicht, die Entscheidung für die Abtreibung in gewisser Weise positiv ins Leben zu integrieren, weil die Prioritäten neu gesetzt werden, weil das Wichtige vom Unwichtigen getrennt wird – und nicht selten kann das dann zu einem Leben führen, dass sich noch mehr wie „deins“ anfühlt.
3 comments
Sehr guter Artikel, ich habe ihn gefunden auf der Suche nach Informationen und Unterstützung nach einem Abbruch und finde die wenigen Angebote, die es gibt, so unterstützenswert. Leider scheint es dieses Angebot nicht mehr zu geben?
Ich kann mich mit Ihrer Arbeit als Trauerbegleiterin identifizieren, denn ich habe selbst eine Abtreibung machen lassen, als ich 19 war. Es war eine schwere Entscheidung, die ich nicht bereue, aber die mich auch sehr traurig gemacht hat. Ich habe damals keine professionelle Hilfe in Anspruch genommen, weil ich mich schämte und alleine fühlte. Ich wünschte, ich hätte jemanden wie Sie gehabt, der mir zugehört und mir geholfen hätte, meine Gefühle zu verarbeiten. Ich finde es toll, dass Sie Frauen in dieser Situation unterstützen und ihnen Mut machen.
Das klingt nach einem tollen Angebot! Dürfen sich auch Männer melden? Ich kenne einige, die eine sie betreffende Abtreibung noch lange beschäftigt hat.