Ihr Lieben, es ist so toll, wenn sich aus unseren Geschichten hier neue Geschichten ergeben. Wir lieben diesen Austausch mit Euch. Juliane hat den Gastbeitrag von Rahna gelesen, die als Au-pair nach Deutschland kam und keine guten Erfahrungen gemacht hat. Juliane hat sich daraufhin bei uns gemeldet, weil ihre Familie nämlich im ersten Lockdown ein männliches AuPair aus Frankreich aufgenommen hat. Davon erzählt sie uns im Interview:
Liebe Juliane, erzählt erstmal, wer alles zu Deiner Familie gehört.
Wir sind eine dreiköpfige Familie. Unser Sohn wird dieses Jahr eingeschult, wir sind daher bislang von Homeschooling verschont geblieben. Wir wohnen im Rhein-Neckar gebiet. Mein Mann ist 41 Jahre alt und ich bin 37. Wir sind beide voll berufstätig, ich arbeite als Juristin für eine größere Unternehmensgruppe, mein Mann in der Bauüberwachung, wir beide pendeln recht weit zu unseren Arbeitsplätzen… also normalerweise zumindest.
Im ersten Lockdown habt Ihr Euch entscheiden, ein Au-pair aufzunehmen. Warum?
Unser Familienalltag war schon länger herausfordernd. Dadurch, dass ich vor Corona nur drei Tage in der Firma und ansonsten im Homeoffice gearbeitet habe, konnten wir uns das Holen und Bringen zwar immer aufteilen. Aber nur ein außerplanmäßiger Termin oder eine längere Sitzung oder ein Zugausfall brachten uns regelmäßig ins Schwitzen. Für die Tage, in denen wir nicht in der Heimatstadt arbeiteten, hatten wir immer noch eine Babysitterin am Start, weil wir im Notfall immer über eine Stunde nach Hause gebraucht hätten. Es gab zwar nie einen echten Notfall, aber für mich fühlte es sich war es besser an, darauf vorbereitet zu sein.
Mit Corona änderte sich – wie in so vielen Beziehungen – die Balance in unserer Familie. Unser Kind war plötzlich zu Hause. Von Anfang an ging es ihm damit nicht gut. Er ist ein Einzelkind, in unserer Straße gibt es keine anderen Kinder, mit denen er zumindest über den Gartenzaun hätte spielen können.
Ich konnte voll von zu Hause arbeiten, mein Mann hingegen konnte in dem ganzen Jahr so gut wie nie von zu Hause arbeiten. Mein Alltag sah dann schnell so aus: Ich setzte mich um 4 Uhr morgens an den Schreibtisch und arbeitete bis 9 Uhr. Da habe ich schon mal eine Menge Arbeit weggeschafft, weil ich den erst des Tages zwischen Kind, Haushalt und Arbeit hin und her gesprungen bin.
Auch wenn ich mir immer wieder gesagt habe, dass es anderen viel schlechter geht, wir hatten immerhin keine finanziellen Einbußen, waren alle gesund, schwanden meine Kräfte zusehends. Und ich kam auch nicht mit der neuen Rolle klar. Plötzlich war ich für alles verantwortlich, weil ich ja zu Hause war. Ich konnte nichts und niemandem gerecht werden und wurde immer unzufriedener und müder.
Ein Gefühl, das wohl alle Mütter gut kennen….
Ja, absolut. Wir hatten vorher schon darüber gesprochen, dass uns ein Au-pair, jemand sehr entlasten würde. Jenseits von Corona auch deshalb, weil unsere Arbeitsplätze nun mal nicht in der gleichen Stadt sind. Au-pairs in Deutschland sollen maximal 30 Stunden in der Woche arbeiten. Bei uns geht es vor allem um die Randzeiten. Je früher wir morgens los kommen, desto früher sind wir (häufig zumindest) abends wieder da. Dann brauchen wir aber jemanden im Haus, der morgens das Kind versorgt und in den Kindergarten bringt. Nach dem Kindergarten sind es in aller Regel mal noch zwei bis drei Stunden, sehr selten mehr.
Das Wochenende ist Familienzeit, d.h. das Au-pair hat frei, kann aber teilhaben. Das Au-pair kommt damit bei uns maximal auf 20 Stunden in der Woche, für mich steht aber im Fokus, dass ich nicht ständig auf Absprung bin. Wenn ich um sechs aus dem Haus gehe, ist das völlig ok, weil ich nicht zuständig bin. Wenn ich nachmittags doch noch die eine Sache fertig machen möchte und einen Zug später nehme, ist das überhaupt kein Problem. Wenn mal was mit dem Kind sein sollte oder der Kindergarten warum auch immer früher zu macht, ist jemand hier und wir werden nicht aus der Bahn geworfen.
Mit schwindenden Kräften im ersten Lockdown wurden diese Überlegungen und die Aussicht auf jemand, der mir ermöglicht mal ins Büro zu fahren, eine Zoomkonferenz ohne Bestechungssüßigkeiten durchzuziehen und einfach meinem Kind eine schöne Zeit macht, wenn ich arbeite, immer konkreter. Deshalb haben wir im Mai angefangen, uns auf die Suche zu machen.
Was war Euch wichtig bei der Wahl des Au-pairs und wie habt Ihr sie gefunden?
Wir haben die Idee offen mit unserem Sohn besprochen. Wir haben ihm erklärt, dass es nicht darum geht, dass wir mehr arbeiten wollen, sondern darum, dass wir mehr gute gemeinsame Zeit haben und es uns besser geht, wenn jemand da ist, wenn wir beide in unseren Büros sind. Wir haben auch viel über den Lockdown gesprochen, uns ausgetauscht, wie es für ihn war und waren uns einig, dass der nächste Lockdown anders werden muss. Er konnte gut erklären, dass er sich ständig weggeschoben gefühlt hat und viel alleine war. Und er auch gefühlt hat, dass ich traurig und gestresst bin und nie richtig Feierabend habe, sondern immer irgendwas mache.
Er hat entschieden, dass es ein männlicher Au-pair sein soll. Die Vorstellung, einen „großen Bruder auf Zeit“ zu bekommen, fand er super. Also haben wir nach einem männlichen Au-pair gesucht.
Wir haben uns wegen Corona auf das europäische Umland beschränkt. Einreisen mit Visa waren uns zu heikel. Wichtig waren uns Grundkenntnisse in Deutsch, weil das Au-pair relativ viel allein klar kommen muss. Gewünscht haben wir uns jemanden, der schon mal alleine gelebt hat, weil wir uns zumindest ausgemalt haben, dass derjenige dadurch ausreichend selbstständig ist.
Wir haben uns dann mit jedem unterhalten, der schon mal einen Au-pair hatte oder jemanden kennt, der mal einen AuPair hatte oder selbst mit einem AuPair aufgewachsen ist. Wir haben uns viele Geschichten angehört und Tipps abgeholt. Dann haben wir uns in entsprechenden Foren angemeldet, ein Profil angelegt und angefangen zu suchen. in diesen Foren haben Gastfamilien und Au-pairs Profile und über den entsprechenden Algorithmus bekommt man dann Vorschläge. Suchen wollten wir alleine, die Vorstellung, dass uns AuPairs von Dritten vorausgewählt werden, fanden wir irgendwie doof. Klar war aber, dass wir dann, wenn wir jemanden gefunden haben, eine Agentur einschalten wollten. Mehr für den Au-pair als für uns. Wir empfanden es als fair, wenn der Au-pair hier einen unabhängigen Ansprechpartner hat und bestenfalls auch Au-pair-Treffen.
Welche Voraussetzungen sollte man haben, wenn man ein Au-pair aufnehmen will?
Die Mindestvoraussetzungen für die Aufnahme eines Au-pirs sind gesetzlich festgelegt. Das Au-pair braucht ein eigenes abschließbares Zimmer. Auch Art und Umfang der Tätigkeiten sind vorgeschrieben. Das Au-pair muss die Möglichkeit haben, einen Deutschkurs zu machen und soll Teil der Familie sein.
Wir haben viel Platz im Haus, so dass das kein Problem war. Unser Au-pair hat quasi eine eigene Etage. Dort sind sonst nur noch mein Arbeitszimmer und unser Gästezimmer. Aber am Wochenende und außerhalb meiner Arbeitszeiten ist er hier allein. Was mir persönlich ganz wichtig ist, ist ein eigenes Badezimmer für den Au-pair.
Und klar, man muss offen sein. Es zieht jemand ein ins Haus und damit in die Familie. Jemand, der den Alltag mit einem lebt. Jemand der eine Meinung zu dem hat, wie wir leben, miteinander umgehen, was wir essen etc. Er ist kein Gast, der mal ein Wochenende reinschaut, für den man vorher aufräumt und lecker kocht und alle sich vernünftig benehmen und der wieder weg ist, bevor das normale Chaos ausbricht. Das muss einem klar sein und das muss man wollen. Unser AuPair ist schnell Teil unserer kleinen Familie geworden, mit allen Höhen und Tiefen.
Welche Rechte und welche Pflichten hat Euer Au-pair?
Unser Au-pair bekommt, wie gesetzlich vorgeschrieben, 280 € Taschengeld sowie monatlich 50 € Zuschuss zum Deutschkurs. Wir zahlen außerdem eine Krankenversicherung in Höhe von 40 € im Monat. Er wohnt hier natürlich einfach mit, also Wohnkosten, Essen etc. gehen auf uns. Er nimmt an Ausflügen Teil und würde mit in Urlaub fahren, wäre das möglich. Wir stellen dem Au-pair ein Auto, das er sowohl für Ausflüge mit unserem Sohn nutzt, aber auch einfach so nutzen kann. Wir tanken das Auto und zahlen die Versicherung. Wir haben die Kosten für die Agentur bezahlt, ca. 350 € einmalig. Außerdem hat er ein Fahrrad zur Verfügung. Insgesamt kommen wir damit monatlich so auf rund 600 € Kosten. Maximal darf ein Au-pair in Deutschland 30 Stunden arbeiten. Im Lockdown kommen wir da dran, in „normalen“ Wochen nicht annähernd.
Wie funktioniert es im Alltag gerade? Wo spürst du Entlastung?
Wir haben von vorneherein kommuniziert, dass wir Flexibilität brauchen. Zum einen wegen Corona und der unklaren Betreuungssituation des Kindergartens, zum anderen aber auch wegen unserer Art zu arbeiten.
Grundsätzlich ist unser AuPair für die Wege zum und vom Kindergarten zuständig. Morgens macht er Frühstück für unseren Sohn, achtet darauf, dass er wirklich Zähne putzt und packt seinen Rucksack. Nachmittags betreut er unseren Sohn, bis einer von uns da ist. Am Wochenende hat er in aller Regel frei. Manchmal auch ein bis zwei Tage unter der Woche, je nachdem, wie es bei uns beruflich gerade aussieht.
Neben der Kinderbetreuung macht unser Au-pair auch schon mal einen kleineren Einkauf, kocht gelegentlich und erledigt so Sachen wie Spülmaschineausräumen, Müll raus bringen oder Wohnzimmer von Spielzeug befreien. Den Aufwand würde ich auf höchstens drei Stunden pro Woche schätzen und das läuft auch einfach nebenher. Er ist Teil der Familie und wenn einer von uns Bescheid gibt, dass das Essen gleich fertig ist, deckt er schnell den Tisch. Oder wenn er rausgeht, nimmt er eben den Müll mit…
Für mich ist es unheimlich entlastend zu wissen, dass ich nicht immer auf dem Sprung sein muss. Die Jungs verstehen sich super und ich weiß, wenn es bei mir später wird, gehen die halt bolzen, essen heimlich ein zweites Eis, bauen eine Höhle oder spielen Lego bis zum Umfallen. Das Kind ist gut aufgehoben und ich komme mit einem freien Kopf dazu, weil ich meine Sachen fertig machen kann. Unserer Beziehung hat die Entscheidung gut getan, weil dieses Ungleichgewicht nicht mehr so da ist.
Du sagst, die Jungs verstehen sich super….
Unser Sohn stellt unseren Au-pair als „seinen großen Bruder aus Frankreich“ vor. Das hat schon einige Fragen aufgeworfen 😉 Tatsächlich beschreibt es die Beziehung der beiden aber ganz gut. Der Kleine bewundert den Großen und findet alles cool, was der cool findet. Und der Große ist manchmal etwas genervt vom Kleinen, wenn der zum 200x an seinem Zimmer vorbeistapft, obwohl er frei hat, weil der Kleine „nur mal eben was schauen muss“. Manchmal kracht es zwischen den beiden ordentlich, aber im Großen und Ganzen haben sie sich sehr sehr gerne. Unser Sohn will jetzt auf jeden Fall nach Frankreich auswandern und zu seinem großen Bruder ziehen, wenn er wir ihn zu dolle nerven. Die Zeit unseres Au-pairs endet im Sommer. Für den Herbst haben wir schon eine Nachfolgerin. Diesmal ein weibliches Au-pair, die unser Sohn wieder mit aussuchen durfte.
Ist es manchmal komisch, jemand zusätzlichen im Haus zu haben?
Klar, am Anfang ist es komisch. Die erste Zeit habe ich mich immer komplett fertig gemacht, bevor ich runter gegangen bin. Das lässt aber nach… Dadurch, dass wir drei Etagen haben und in der mittleren keine Gemeinschaftsräume sind, kann man sich dahin zurückziehen. Aber eigentlich ist das nicht nötig. Irgendwie passt das immer. Wenn wir Spieleabende machen, oder einen Film schauen, ist er dabei, wenn er Lust hat, oder eben nicht. Wir haben alle ein recht gutes Gefühl füreinander.
Alles in allem also die absolut richtige Entscheidung, oder?
Wir hatten Angst vor der finanziellen Belastung und vor der Tatsache, dass hier plötzlich eine uns fremde Person lebt. Klar, finanziell ist die Entscheidung ein Einschnitt. Aber für uns war es das wert. Fremd war uns unser AuPair vielleicht für eine Woche. Er ist Teil unserer Familie und wir finden das schön.
Wir Drei sind insgesamt im Miteinander entspannter. Wir Erwachsenen können mit freierem Kopf unsere gemeinsame Zeit genießen und schieben uns nicht immer den „aber Du musst heute abholen“-Peter zu. Das Kind hat einen Freund dazu gewonnen und genießt es, sich auch mal so richtig geschwisterlich gegen uns zu verschwören.