Jipppieh, Claudia Haessy ist wieder da! Ihr kennt sie sicher alle noch von „Wenn ich die wahl habe zwischen Kind und Karriere, nehme ich das Sofa„. Mit ihrem gewohnt scharfen Humor und ihrer wahnsinnig guten Beobachtungsgabe liefert sie uns ein neues Werk voller Wahrheiten über das Leben als Mutter, als Familie, als Mensch: Tagsüber Zirkus, abends Theater.
Liebe Claudia, dein neuer „Roman“ ist da und – lustig! – wieder heißt die Protagonistin in deinem Buch Claudia, also genau wie du. Was für ein Zufall! Die Buch-Claudia sagt: „Ich bin quasi der HSV der Mütter-Liga: Ich bin zwar mit von der Partie, aber keiner weiß genau, wieso.“ Was meint sie damit?
Es soll ja durchaus Mütter geben, die seit ihrem 14. Lebensjahr, oder dem Moment, in dem ihr fortpflanzungswütiger Hormonhaushalt zum Leben erwacht, und sie ab da von nichts anderem mehr träumen, die schlicht seit Ewigkeiten wissen, dass sie die geborenen Muttertiere sein werden, dass sie von Natur aus einfach alles mitbringen, was eine Mutter ausmachen sollte. Und dann gibt es Mütter wie mich. Die das nie geplant haben, die reingeschmissen wurden in dieses famos chaotische Abenteuer und primär jeden Tag nur hoffen, dass niemanden auffällt, dass sie eigentlich null Plan haben, was sie da eigentlich machen oder was genau sie zur Teilnahme dieses Abenteuers qualifiziert.
Ich weiß noch ganz genau, wie ich damals mit dem Lütten aus dem Krankenhaus nach Hause bin und dachte: „Krass. Die lassen mich den jetzt einfach so mitnehmen.“ Dieses Gefühl besteht im Grunde bis heute.
Nun fühlt sich die Roman-Claudia in Hamburg Eppendorf „wie ein Alien“ zwischen all den Latte-Macchiato-Müttern. Was bräuchte sie denn stattdessen? Welche Mit-Aliens der Mutterschaft wären ihr sympathischer?
Mütter, die auch mal laut fluchen, weil sie zum vierten Mal die Klassenkasse vergessen haben, und Flecken ohne Herkunftsnachweis auf den Klamotten spazierentragen. Die zur Kita-Party einfach einen Kuchen aus einer Backmischung mitbringen statt Fingerfood mit Feigen und Roquefort oder eine vegane Pastete mit Walnüssen. Mütter, die einem das Gefühl vermitteln, man sei nicht die Einzige, die vor Müdigkeit und Überlastung einfach mal eine halbe Stunde im Badezimmer heult – am besten mit Licht aus, damit man sich nicht vor seinem eigenen Spiegelbild erschreckt und schön ins Handtuch rein, damit die Kinder nicht denken, Mama knallt jetzt komplett durch. Sowas wäre schön.
Selbstzweifel als Mutter, das Gefühl nicht wirklich begabt in dem Job zu sein, irgendwie nicht dazuzugehören – kennt das nur die Buch-Claudia oder auch du als Verfasserin?
Ich stelle die tollkühne Behauptung auf, dass 75% aller realen und fiktiven Mütter das zumindest zeitweise kennen.
Werden an Mütter heute gesellschaftlich zu hohe Anforderungen gestellt?
Ich glaube, an Frauen werden per se sehr hohe Anforderungen gestellt, beziehungsweise jeder Aspekt unseres Lebens inklusive unserer Körper wird ja ständig ungefragt bewertet. Das schlaucht. Und bei Müttern ist das noch extremer.
Es gibt diesen Aphorismus, der das perfekt zusammenfasst: „We expect women to work like they don‘t have children and raise children as if they don‘t work.“ Vor allem Alleinerziehende oder berufstätige Mütter laufen häufig Gefahr, an dem Druck, den sie sich permanent und überall ausgesetzt sehen, zu zerbrechen. Darüber müssen wir offen sprechen. Ohne zu bewerten.
Nun gleicht die Beziehung der Buch-Claudia zu ihrem Mann eher einem Kampf, sein Familien-Engagement tendiert gegen Null. Für wie sexy hältst du spülmaschineausräumende Männer?
Ich halte spülmaschinenausräumende Männer für genauso sexy wie spülmaschinenausräumende Frauen. Ich feiere Männer nicht dafür, wenn sie Dinge tun, die normal sein sollten. Ich feiere aber Menschen, die mitdenken, die reflektieren und sich generell nicht wie der letzte Arsch benehmen. Hin und wieder finde ich solche Menschen dann sogar sehr sexy.
Nun hast du ja selbst schon einige Jahre der Mutterschaft miterlebt, inwiefern hat sie dich dann auch positiv überrascht?
Ich bin fast auf wöchentlicher Basis überrascht, wie sich mein Sohn entwickelt, wie viele Eigenschaften er von mir und wie viele er von seinem Vater geerbt hat. Das ist inzwischen ein richtiger kleiner Mensch mit verdammt eigenen Vorstellungen, ganz speziellen Interessen und Sichtweisen. Und der ist aus mir rausgekommen!
Was hat das Buch mit dir gemacht? War das ein Reinschreiben, hast du danach Erleichterung empfunden? Und: Was möchtest du damit erreichen: Mit-Aliens die Last von der Schulter nehmen?
Ich bin ganz ehrlich: Ich hatte mittendrin eine recht ungeile Depression und musste pausieren, weil sich lustige Bücher nicht so einfach schreiben, wenn man damit beschäftigt ist, sein Gehirn davon abzuhalten, einen umzubringen. Da war nichts mit Reinschreiben, einfach runterschreiben oder Erleichterung. Die Erleichterung kommt erst, wenn ich wie nach dem ersten Buch – hoffentlich – das Feedback der Leser*innen bekomme, dass ich ihnen aus der Seele geschrieben habe.
Mir wird häufig gesagt, ich soll nicht so viel Privates preisgeben oder über dieses oder jenes nicht sprechen, weil „was sollen denn die Leute denken?“ Mir sind „Leute“ relativ egal. Ich will, dass Mütter, die ständig an sich zweifeln und glauben, mit niemanden darüber sprechen zu können, die so dauermüde sind, dass sie bei dem durchgenudelten Begriff der Selbstoptimierung fast heulen möchten, die glauben, dass sie nicht reichen, nicht gut genug sind, wissen, dass sie nicht alleine sind. Wir sind viele. Und wir sind alle sehr, sehr müde. Und es ist okay, das laut zu sagen. Vor allem mit dieser Pandemie und der ganzen, aktuellen Ausnahmesituation im Nacken. Wenn ich nur ein paar Müttern dieses Gefühl geben kann, bin ich happy.
Glück gibt´s nur, wenn man ehrlich zu sich selbst ist – auch wenn´s weh tut, heißt es im Roman. Wie glücklich bist du grad und warum?
Sagen wir so: Ich arbeite zwar weiterhin zu viel, aber ich habe famose Freunde, eine Familie, die ich sehr liebe, mehrere Hunde, und besitze eine maximal bequeme Schwangerschafts-Jogginghose und einen wirklich sehr guten Vibrator. Jeder Teil davon sorgt auf recht unterschiedliche Weise dafür, dass ich mich aktuell ziemlich glücklich schätzen kann. Wenn wir auch noch alle diesen Sommer eng nebeneinander auf Picknickdecken in Parks sitzen und grillen können, wäre das vermutlich die Kirsche auf der Sahnetorte.