Als Svenja und der Vater ihrer Kinder merken, dass ihnen die Beziehung zu eng wird, ändern sie die Regeln – nach ihren ganz eigenen Vorstellungen. Auf Instagram spricht sie als Tante Kante offen darüber. Ihr kennt sie vielleicht noch von unserem Interview über das Mütter-Kultbild der kompletten Selbstaufgabe, bei dem sie nicht mitmacht. Jedenfalls lockerten sie und ihr Partner das Korsett der starren gesellschaftlichen Anforderungen, als sie merkten, dass das so nicht mehr klappt. Heute leben sie glücklich zusammen mit ihren Kindern – unter einem Dach.
Liebe Svenja, du sagst, wie wir lieben, war auch vor Corona nicht egal, jetzt sei es aber noch weniger egal. Die Corona-Regeln seien für traditionelle Lebensentwürfe gemacht, nicht aber für moderne. Was genau meinst du damit bezogen auf deine persönliche Situation?
Die Coronabestimmungen sahen vor, dass wir zunächst in den Kernfamilien bleiben und keine weiteren sozialen Kontakte haben dürfen. Wenn man, wie wir, in einer „Beziehung“ lebt, in der bestimmte Bereiche ausgegliedert, oder wie man so schön sagt „offen“ sind, dann wird genau das zum Problem.
Wir durften uns ja mit niemandem nahekommen, der nicht zu uns gehörte. Das muss nicht immer gleich Sex sein, es kann auch Nähe zu jemandem bedeuten. Genauso stelle ich es mir schwierig in polyamoren Beziehungen vor oder den vielen Patchwork- und getrennt lebenden Familien, wo mindestens zwei, aber manchmal auch vier Familien mit drin hängen. Da ist es dann nicht so einfach zu sagen: Konzentriert euch mal auf die Kernfamilien. Mama, Papa, Kind – das gibt es, aber es gibt auch Vieles andere.
Der Vater deiner Kinder und du, ihr seid kein Paar mehr, ihr seid getrennt, lebt aber weiter unter einem Dach. Wie funktioniert das im normalen Alltag? Und wie jetzt gerade in Zeiten des physical distancing?
Das kann man so nicht sagen. Am besten beschreiben kann man es, wenn man sagt: Wir haben uns von dem Label „Beziehung“ getrennt, aber nicht voneinander. Wir mögen uns sehr, er ist ein toller Mensch und Vater, wir brauchen uns gegenseitig, aber wir haben uns nach 15 Jahren klassischer Beziehung trotzdem so auseinandergelebt in manchen Dingen, dass es für die Maßstäbe, die man eigentlich an eine „ordentliche“ Beziehung anlegt, nicht mehr gereicht hat.
Es gab dadurch viel Frust und auch Vertrauensbrüche – das hätten wir uns alles sparen können, wenn wir uns früher von den Regeln verabschiedet hätten, die in unserer Gesellschaft in einer normalen Beziehung gelten. Wir haben uns nach einer harten Krise gefragt, wie wir eigentlich zueinander stehen und haben gemerkt, dass wir uns als Menschen wirklich mögen, aber gegenseitig die Anforderungen an eine Beziehung nicht mehr leisten können. Das hat unfassbar viel Druck rausgenommen.
Es hat ein bisschen gedauert, bis sich das eingespielt hat, aber seit wir so leben, haben wir wesentlich mehr Respekt für den anderen. Dinge sind nicht mehr selbstverständlich, man erwartet weniger, nimmt mehr Rücksicht auf die Bedürfnisse und gönnt mehr. Es ist schon verrückt, was das Label „Beziehung“ aus zwei Menschen machen kann. Als würde man sich besitzen.
Wir haben uns gegenseitig Freiraum gegeben, ich hatte das erste Mal wieder das Gefühl, nur für mich entscheiden zu müssen und nicht für uns. Wir haben jeder ein eigenes Zimmer, das gehört zum Beispiel auch dazu. Tja, wie soll man das nennen? Wir sind kein normales Paar, wir sind aber auch nicht getrennt. Ich finde wir haben eine „Beziehung“ in einem anderen Sinne – so wie zwei Menschen eben in einer Beziehung zueinander stehen können. Wir kennen uns sehr gut und sind füreinander da, wir dürfen aber auch andere Menschen nah an uns heran lassen.
Du schreibst: „Eigentlich hätten wir uns streiten und alleinerziehend enden müssen. Das wäre so ordentlich gewesen wie die Gärten Dümpelswalda und, wenn auch traurig, für jeden ok. So läuft das auch bei Promis oder Netflix.“ Wie egal sind dir die Reaktionen auf euer Lebensmodell?
So und so. Was Bekannte und KollegInnen betrifft, ist mir das wirklich komplett egal. Ehen und Beziehungen sind kompliziert, das wissen die alle selbst. Wenn da jemand meint, unser Konzept verurteilen zu müssen, zucke ich nur mit den Schultern. Bei Freunden wäre mir das nicht ganz so egal, unsere Freunde haben es aber alle sehr positiv aufgenommen. Die meisten waren erleichtert, dass wir uns nicht „richtig“ getrennt haben und finden es toll und inspirierend, wie wir das machen. Und auch der Satz: „Wir könnten das nicht.“, ist ja voll ok – muss ja auch nicht jeder.
Unsere Eltern haben geschlossen geschockt reagiert und blenden es entweder komplett aus (es wird also kein Wort darüber verloren) und sind sich sicher, dass das nicht der richtige Weg sein kann. Das hat mich schon beschäftigt, weil man ja doch immer denkt, die werden das doch verstehen. Können oder wollen sie aber nicht. Ich glaube, das ist dann wirklich eins der klassischen Generationenprobleme. Das ist für unsere Eltern einfach total fremd und gehört vielleicht sogar in die Schmuddelecke. Bei denen gibt es: Getrennt oder zusammen. Für mich fühlt es sich leider dadurch an, als wäre ich gescheitert. Das betrifft aber nur mich in der Rolle als Tochter. Als Frau und Mutter fühlt es sich großartig an.
Sich zu trennen, trotzdem zu umarmen, zu küssen, sich aber in andere zu verlieben – wie macht ihr das, welche Rolle spielt Eifersucht und Gönnen-können bei euch?
Eifersucht – keine mehr. Wir wissen, was uns verbindet. Wir haben verrückte Zeiten durchgemacht: Zusammen studiert, zusammen „erwachsen“ geworden, Kinder bekommen etc. Diese gemeinsame Zeit wird keiner von uns jemals mit einem anderen Menschen erleben können. Ich habe einen Riesenanteil in C.s leben und er in meinem. Komme, was wolle. Ich habe keine Angst vor einer anderen Frau. Natürlich könnte sie ein gewisses Gewicht in seinem Leben ausmachen und er vielleicht auch Gefühle für sie entwickeln, aber dann soll es eben so sein. Mir kann das ja genauso passieren. Aber das Wasser reichen?
Das muss sich jeder in einer Langzeitbeziehung mal klar machen: Euch verbindet so so viel, worauf eifersüchtig sein? Ich glaube mittlerweile, dass Eifersucht viel mit dem eigenen Ego zu tun hat: Eifersucht bedeutet, dass man sich selbst abgewertet fühlt, weil man in gewissen Dingen vielleicht gerade nicht die Nummer Eins ist. Es hat mit Wertigkeit zu tun.
Wenn man aber sein Selbstwertgefühl aus sich selbst heraus generiert und nicht über die Aufmerksamkeit des/ der Partners/in, kann man auch viel mehr gönnen. Ich freue mich für ihn, wenn er für ein paar Tage nach Berlin fährt. Soll er doch da einfach Spaß haben, das mache ich ja auch. Die Basis ist ja hier zuhause – und die ist so gemütlich und gefestigt, keiner von uns beiden will hier weg.
Und wie sieht das ganz praktisch aus? „Nimmst du die Kinder, ich hab kurz Privatbesuch?“
Gedatet wird nur wo anders. Es sei denn, die Kinder sind übers Wochenende bei den Großeltern und ich z.B. auch ein paar Tage weg, dann könnte er auch bei uns mit jemandem Zeit verbringen. Aber im Alltag läuft das meistens so, dass einer von uns halt sagt: „Ich würde heute gerne rausgehen, hast du das vor?“, dann wird sich geeinigt und fertig.
Sollte wirklich mal ein/e andere/r so wichtig werden, dass eine Art zweite Beziehung daraus wird, dann werden wir sehen, wie das laufen kann. So ist aber bisher nicht.
Hast du das Gefühl, es ist vielen nicht ganz koscher, wenn eine Trennung keine Katastrophe ist?
Zumindest habe ich oft rausgehört: „Wenn ihr euch noch versteht, warum seid ihr dann nicht einfach noch zusammen?“ Es hat aber „zusammen“ im Sinne einer klassischen Beziehung einfach nicht mehr funktioniert. Dann muss ich das ewig erklären, ist ja auch nicht so einfach.
In den ersten Monaten unserer Krise war es übrigens schon katastrophal. Wir haben uns ja nicht plötzlich eines schönen Abends hingesetzt und besprochen, dass wir unser Leben ändern. Wir haben uns erstmal richtig schön an die Wand gefahren. Wir haben beide sehr gelitten.
Wie gehen die Kinder mit der Situation um?
Die bekommen bisher nichts mit, außer, dass wir richtig gut miteinander auskommen – wieder. Und die Zimmer, aber das hinterfragen Kinder mit 4 und 8 Jahren nicht, das ist eben einfach so. Wir waren damals eine Zeitlang in einer Beratung wegen der ganzen Situation und da habe ich auch wegen der Kinder gefragt. Uns sagte man dort, dass es für die Kinder nur auf eines ankommt: Dass Mama und Papa beide verfügbar sind – dann ist deren Welt erstmal in Ordnung. Und da wir uns ja gut verstehen, ist es für die Kinder eigentlich alles total easy. Und wenn irgendwann Fragen kommen, dann wird geantwortet.
I mean – ich erzähle davon im Internet, natürlich werde ich darüber offen mit meinen Kindern sprechen. Hinzu kommt bei uns, dass wir ja auch emotional nicht ständig Achterbahn fahren, da unser Zentrum eben die Familie ist. Wäre es so, dass wir als Partner recht abgekühlt wären und sich ständig einer verlieben würde und dann Liebeskummer hätte – das würde vielleicht schon etwas mit den Kindern machen.
Meinst du, euer Modell würde auch viele andere Menschen glücklicher machen, weil sie sich freimachen könnten vom gesellschaftlich vermittelten schlechten Gewissen?
Davon bin ich überzeugt. Und ich glaube auch, dass viele klassische Trennungen unnötig sind. Da sind wir wieder beim Ego: Wenn man durch das Verhalten des/ der Partners/in gekränkt oder verletzt ist, fällt es vielen schwer, dieses Stück des Kuchens beiseite zu legen und den Rest des Kuchens zu betrachten, der mit dem anderen noch richtig toll ist. Oft ist das ja der größere Teil.
Auf der anderen Seite ist auch Trennen voll ok und sollte nicht überdramatisiert werden – ich denke nur: Wenn Kinder im Spiel sind, lohnt es sich, Alternativen auszuprobieren, anstatt die Flinte ins Korn zu schmeißen.
„In einer klassischen Beziehung akzeptieren wir gewissermaßen eine Abstandsregel auf Lebenszeit. Das ist schon verrückt, dass wir das freiwillig tun.“ Erklär mal, was du damit meinst…
Naja, wir akzeptieren, sowohl emotional als auch sexuell dem anderen Geschlecht (oder dem gleichen, wenn homosexuell oder beiden, wenn bisexuell) nicht mehr nahe zu kommen. Das ist der Haupt-Deal einer Beziehung und auch einer DER Gründe, wenn es um Verletzungen und Trennung geht. Es gibt so viele Beispiele von Paaren, wo man sich fremdgeht, obwohl man die/den andere/n noch liebt. Wenn das dann rauskommt, gehen die schönsten Beziehungen kaputt. Auch weil dieser Faux Pars ja als inakzeptabel gilt. Da werden 20 Jahre andauernde Beziehungen mit Kindern und Haus und allem hingeschmissen, weil der eine Sex mit jemand anderem hatte.
Wir empfinden den Seitensprung ja aber deswegen so sch****, weil es eben diesen Deal gibt und man daran so etwas wie Vertrauen knüpft. Man macht quasi eine Regel aus und sagt: Wenn du dagegen verstößt, trenne ich mich. Wenn es dann passiert, wertet man den Regelverstoß deswegen als so schlimm, weil daran die Tatsache geknüpft war, dass man sich trennt. Die/ der andere hat also in Kauf genommen, dass die Beziehung kaputt geht. Das ist doch das eigentliche Schlimme und nicht die Affäre an sich. Es ist die Message, die dahintersteckt: Ich habe unsere Beziehung aufs Spiel gesetzt. Ich wusste, dass du dich dann trennen wirst, ich habe es trotzdem getan. Das ist eindeutig, abwertend und bitter. Die Lösung wäre also, sich das gegenseitig zu erlauben, wenn man das möchte.
Dass wir uns freiwillig auf dieses Korsett einlassen, finde ich deswegen so verrückt, weil viele von uns ja in allen möglichen Bereichen die maximale Freiheit und Selbstbestimmtheit suchen – und ausgerechnet da, wo uns mal keine Gesetze und Verordnungen das Leben schwer machen, akzeptieren wir fraglos eine geltende Norm/Regel/Tradition, die uns nicht unerheblich einschränkt. Mich wundert es, dass das nicht längst viel mehr Menschen hinterfragen.
Wenn du in die Zukunft schaust, welche Chancen siehst du für das Modell „Ehe“?
Wenn ich meine SchülerInnen so sehe, dann weiß ich, dass die Ehe noch lange eine große Bedeutung haben wird, die Ehe an sich ist ja auch etwas Schönes, man sollte vielleicht nur mal über die damit verbundenen Wertvorstellungen nachdenken. Es gibt auch etliche junge Leute, die sagen, sie wollen überhaupt keine Beziehungen – das ändert sich dann aber immer schnell, wenn sie sich doch verlieben.
Und wo siehst du dich liebestechnisch in so 20 Jahren?
In 20 Jahren werde ich hoffentlich geliebt und werde lieben. Egal in welcher Konstellation. Liebe wird mehr, je mehr man sie teilt. Ich werde niemals sparsam damit sein. Auch nicht mit dem Begriff. Ich liebe Musik, ich liebe Sommer, ich liebe gutes Essen, ich liebe Freunde – ich liebe so vieles.
9 comments
Ist zwar Keinem aufgefallen, aber so ganz ehrlich ist der Artikel/ die Erzählerin nicht. Sobald es darum geht dass es eine ( ernsthaft) andere Frau geben könnte wird relativiert und negiert * wird nicht passieren, unsere Beziehung ist das Wichtigste). Doch nicht so frei und unkonventional? Das ist nichts Schlimmes, aber so belügt man sich selbst wenn man nach außen krampfhaft etwas darstellen will was aber eigentlich doch nicht meine Meinung/ Art ist.
So oft darüber nachgedacht, wie es wäre, wenn….
Du lebst das, was sich in meinem Kopf immer mal wieder diffus ohne konkrete Formen annehmen zu können, abspielt…
Danke dafür. Ich finde es sehr stark, mutig und einfach mal – Ehrlich! Das sind die Wenigsten in unserer Gesellschaft. Beziehungen werden weggeworfen oder es wird auf Teufelkommraus auf „glücklich“ getan…
Dennoch – den Schritt kann ich noch nicht wagen und es gibt zu viele Feagezeichen.
Der große Knall kommt früher oder später ja doch – wenn sich eine ernsthaftere Beziehung von außen anbahnt…der/die „Andere“ wird einen gewissen Stellenwert für sich beanspruchen. Und dann?
Muss das nochmal überdenken.
Trotzdem- Hut ab und alles Gute, v.a. für die Kinder. Sie sind meist die Leidtragenden. Dies gilt es um jeden Preis zu vermeiden.
Danke, für dieses wunderbare Interview. Ich finde es der Knaller endlich mal offen darüber zu lesen . Offener Blick und offene Lebensweise.
Hallo liebe Svenja,mein Mann und ich leben seit fast 13 Jahren genauso und sind sehr glücklich und zufrieden damit auch wenn viele es nicht verstehen aber es funktioniert sehr gut.danke für deinen Beitrag er macht uns noch stärker darin die richtige Entscheidung getroffen zu haben .♥️😊
So ähnlich könnte ich mir das zusammen leben mit meinem Mann auch vorstellen! Ich wäre um einiges glücklicher! Er steckt aber voll drin, in den Vorstellungen über die klassische Ehe, und möchte das auch ausleben.
Das ist DAS Lebensmodell, dass ich mir schon immer gewünscht habe – ZUSAMMEN FREI SEIN 😉
… für euch weiterhin viel LIEBE <3
Ich liebe diesen Beitrag 😍
Für deine offenen Worte und dein großes Herz❤️
Danke Svenja!
Ich freue mich diesen Text zu lesen und zu erfahren, dass wir nicht alleine sind. Wir leben fast genauso. Wir sind noch nicht so weit, dass es sich für uns beide rund anfühlt, weil die Gefühle zueinander doch noch ziemlich unterschiedlich sind. Alles Gute Euch!
Ein wundervoller Beitrag, der zeigt, dass auch andere Lebensmodelle funktionieren können.
Wenn man von den erlernten Wert- und Moralvorstellungen abweichen kann.
Sicherlich braucht das eine Zeit der Gewöhnung und Neuorientierung.