Ihr Lieben, wir sprechen in den letzten Tagen viel über die Auswirkungen der Kontaktsperren und Kita- und Schulschließungen, aber was ist eigentlich, wenn das eigene Kind an Corona erkrankt? Dreifachmutter Luise (ein Kitakind, ein Grundschulkind, ein Gymnasialkind) hat genau das erlebt, wir durften sie am Telefon interviewen und dürfen hier das Protokoll ihrer letzten Wochen veröffentlichen.
Als wir im März – noch vor den allgemeinen Maßnahmen – erfuhren, dass jemand aus unserer näheren Verwandtschaft positiv auf Covid-19 getestet wurde, war für uns sofort klar, dass wir uns auch würden testen lassen.
Unser zehnjähriger Sohn war fünf Tage zuvor noch dort zu Besuch gewesen und wir hatten alle leichtes Halskratzen, so dass wir tatsächlich alle noch getestet werden konnten. Mitte März ging das noch, da gab es noch Test-Kapazitäten.
Unser Verwandter war der erste positiv getestete Fall bei uns im Landkreis gewesen, zusammen mit einigen Mitarbeitern. Wir wohnen im Speckgürtel von Berlin, der Ort gehört zu Brandenburg. Wir setzten uns also alle ins Auto und wurden auf dem Hof eines Krankenhauses im Auto per Abstrich im Rachen getestet.
Das Ergebnis bekamen wir noch am selben Tag, am Abend: Wir waren alle negativ getestet worden – bis auf unseren Zehnjährigen: Positiv!
Das war erstmal ein Schock. Wir mussten sofort alle in die sogenannte „häusliche Absonderung“. Wir durften die Wohnung nicht verlassen – und zwar in einer Zeit, in der der Alltag der anderen noch weitergeht, in der unsere Kinder andere Kinder draußen spielen hörten.
Nachbarn und Kollegen gingen für uns einkaufen, legten uns die Lebensmittel in den Garten. Die Hilfsbereitschaft war riesig, ich bin jetzt noch gerührt. Aber zu Hause waren wir allein. Schlimmer noch: unser Sohn musste in einem eigenen Zimmer verharren, damit wir uns selbst nicht infizierten. Ihr könnt euch vorstellen, was das für eine Mutter bedeutet.
Ein krankes Kind gehört eigentlich in Mamas Arm und nicht getrennt von uns allen, abgesondert von seinem Leben in ein Extrazimmer, das ich nur ab und zu zum kurzen Plaudern oder Fiebermessen mit Mundschutz betreten konnte.
Zumal wir keinerlei Ausstattung zur Verfügung gestellt bekamen. Wenn ich sehe, wie Krankenschwestern in Kliniken ausgestattet sind, wenn sie positive Covid-Fälle behandeln, war die Isolation eines Familienmitgliedes innerhalb eines Haushaltes mehr als fragwürdig, da durch mangelnde Ausrüstung und Erfahrung im Umgang damit die restlichen Familienangehörigen nicht ausreichend geschützt waren.
Ich war im Grunde so gut wie nicht geschützt. Ich hatte einzig eine Bau-Maske, de ich mir selbst besorgt hatte und die ich aus Mangel an Alternativen jeden Tag wieder trug. Das Schlimmste war die äußerst fremde und unberechenbare Situation gegenüber dem eigenen Kind!
Am Anfang freute er sich noch auf endloses Netflixen und Spiele an der Playstation, die Euphorie hielt aber nicht lang. Einmal weinte er: „Ich hab euch draußen spielen gehört, das macht mich so traurig.“ Es brach mir das Herz.
Andererseits dachte ich auch: Wenn sich hier noch jemand ansteckt, stehen uns NOCHMAL 14 Tage Isolation bevor – und das wollten wir wirklich mit allen Mitteln verhindern. Wir wollten so gern zumindest ab und zu mal wieder vor die Tür. Wieder selbst einkaufen können. Auch unser Kleiner wollte unbedingt mal wieder mit seinem Bruder spielen, ihn immer wieder von seinem Zimmer fernzuhalten, war einfach schrecklich.
Was die Symptome unseres Mittleren anging, hielt sich das alles sehr in Grenzen. Er hatte keinen Husten, er hatte Kopf- und Gliederschmerzen und Temperatur, allerdings nie über 38,4 Grad. Zum Glück! Das Gesundheitsamt meldete sich jeden Tag, wir mussten zweimal am Tag Fiebermessen und einen Tagesbericht schreiben.
Sehr aufwendig war am Anfang aber der Kontakt nach außen. Denn nachdem der Test positiv gewesen war, hatten wir sämtliche Kontakte der letzten 14 Tage angeben müssen. Nähere Freunde hatte ich direkt per Telefon informiert, damit sie nicht durch ein Amtsschreiben erfuhren, dass auch sie in Quarantäne mussten, weil sie Kontakt mit unserem Sohn gehabt hatten.
Die Nachricht schlug sofort Wellen und verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Mein Telefon zeigte am Tag drauf 63 Telefonate an. Alle wollten wissen, wie es begonnen hatte, ob ein Husten drauf hindeuten konnte, aber ich bin ja selbst keine Virologin. Alle Klassenkameraden und Lehrer unseres Sohnes wurden in Quarantäne geschickt. Auch ihr Leben stand nun still – durch uns. Wir hatten natürlich auch ein schlechtes Gewissen.
Am Ende wussten wir: Niemand hatte sich angesteckt, alle Tests der Kontaktpersonen fielen negativ aus. Nicht auszudenken, es wäre anders gewesen.
Die Isolation bei Betroffenen endet nicht automatisch nach 14 Tagen, der Patient muss mindestens zwei Tage symptomfrei sein. Bei uns war das zum Glück der Fall. Doch plötzlich wurde für alle das Leben eingeschränkt, die Schulen und Kitas schlossen.
Ich bin – eigentlich – mit 30 Stunden pro Woche berufstätig und mein Mann arbeitet 50 Stunden pro Woche aus dem Homeoffice. Er tut das aus einem der Kinderzimmer heraus, weil das unser Platz hier sonst nicht hergibt.
Die Gymnasiastin hat ein volleres Pensum als zu normalen Schulzeiten, sie hatte sogar Abgabetermine jetzt in den Ferien. Zum Glück macht sie vieles selbstständig, aber die Schule hat sich jetzt überlegt, dass Unterricht per Videokonferenz stattfinden soll und erstens weiß ich nicht, ob unsere Bandbreite das neben den Videokonferenzen meines Mannes überhaupt hergibt und außerdem haben wir ja noch zwei Kinder, die nicht den ganzen Tag mucksmäuschenstill durchs Haus schleichen…
Unser genesener Zehnjähriger lernt und übt die per App hochgeladenen Aufgaben und das Kitakind will unterhalten und gefördert werden und will einfach nur Leichtigkeit. Von Haushalt und Bewirtung und dem Erklären von geraden und ungeraden Brüchen mal abgesehen. Zum Glück konnte ich meine Arbeitszeit übergangsweise reduzieren, wer die Ausfälle trägt, ist noch unklar.
Ich will nicht klagen, ich bin froh, dass wir jetzt alle wieder gesund sind. Aber es ist ein bisschen so wie mit einem schweren Rucksack auf einer Wanderung. Am Anfang denkt man sich: Klar, schaff ich schon. Und irgendwann tut der Rücken weh, schneiden sich die Riemen in die Schultern und man braucht eine Pause.
Wann und wie wir Familien mit Kindern uns diese nehmen soll, erklärt uns keiner. Stattdessen wird über eine Verkürzung der Sommerferien nachgedacht, das kann doch nicht wahr sein. Ich kann nur sagen, unsere Schulkinder machen grad mehr für die Schule als in regulären Schulzeiten, da kann man ihnen doch jetzt nicht noch die Ferien nehmen.
Versteht mich nicht falsch, ich weiß, dass es für alle eine neue Situation ist und habe Verständnis, dass es Zeit braucht, bis Konzepte entwickelt sind. Ich muss aber ehrlich sagen, dass es mich entsetzt, wie wenig Familien mit Kindern bei all den derzeitigen Überlegungen berücksichtigt werden. Und das will und möchte ich nicht akzeptieren.
Ich hab das Gefühl, wir sind die einzige Säule, die gesellschaftlich nicht mitgedacht wird. Was wird denn vor allem mit den Kindern, deren Eltern sie nicht zu Hause fördern können? Sie sind die ganz großen Verlierer dieser Krise, ich weiß nicht, wie die Lehrer das im Herbst alles wieder auffangen wollen. Deswegen engagiere ich mich jetzt auch im „Eltern Initiativ #elterninderkrise“, um uns eine Lobby zu geben und zusammen mit anderen Eltern Konzepte zu entwickeln, wie das alles weitergehen kann – ohne uns selbst zu gefährden.
Wer mehr von Luise lesen will, kann das gern auch in ihrem Blog „Kunst am Nagel“ tun.
5 comments
Eine „Mama“ die ihr ( krankes und weinendes) Kind nicht umarmt!? Aber selber jammert? Soviel Angst, das ich mein Kind wegsperre, kann ich nie haben! Aber soll ja auch Eltern geben, die ihren Kindern damit drohen das Oma stirbt wenn sie etwas nicht mitmachen. Wie weit ist da das Denken abgeschafft?
Ja hoffen wir auf Normalität.
Allerdings hätte ich mein Kind in den Arm genommen ich bin auch gerade fürs kranke Kind Mama. Wieviel Angst macht das einem Kind? (Das ist eine Infektionskrankheit die junge Leute überstehen!) Gerade weil die Politik so einseitig auf die Generationen 60+ schaut muss ich das nicht auch noch tun. Gerade weil die Kinder und Jugendlichen die längsten und stärksten Einschränkungen hatten/ haben und das kein bisschen geschätzt wird vom Rest der Gesellschaft. Es war und ist nämlich nicht normal Kinder wegen/ mit älteren Generationen zu erpressen! Die Erwachsenen sorgen für die Kinder nie umgekehrt!
Hallo, meine Tochter, der Schwiegersohn und die 5jährigen Zwillinge hatten vor kurzem Corona und mußten in Quarantäne. Zum Glück wurden nicht alle gleichzeitig krank, so das sich immer jemand um die Kinder kümmern konnte.Mein Enkel hat zwar gejammert, aber liess sich ablenken. Anders das Mädchen. Sie ist Autist, will ihren geregelten Alltag und war sehr unzufrieden und motzig. Es war sehr anstrengend.
Liebe Luise, was für ein Horror, den deine Familie da durchmachen musste. Ich mag mir das garnicht vorstellen und glaube nicht, dass wir Isolation von einem Kind geschafft hätten. Schön, dass ihr das überstanden habt. Ich drücke euch die Daumen, dass ihr so etwas nicht noch einmal erleben müsst. Viel Kraft für die nächste Zeit! Viele Grüße Maria
Hallo, das kann ich gut verstehen und viele Sachen kenne ich auch so. Danke auch für diesen Beitrag, denn selten lese ich über diese schwierige Zeit. Wir hatten Anfang März als vierköpfige Familie Corona, beide Erwachsene und eines der Kinder. Zu uns kamen noch nette Menschen vom Gesundheitsamt nach Hause zum Testen. Eine gesundheitlich schwere Zeit und viele Anrufe die getätigt werden müssen.
An Toilettenpapier und Mehl hat es uns übrigens nie gemangelt. Trotz leerer Regale. Unsere Familie, Nachbarn und Freunde haben uns mit allem versorgt. Alles Gute!