Foto: Andreas Siebler
Ihr Lieben, wir wissen nicht, was ihr für Esser zu Hause habt, aber definitiv wissen wir, dass wir uns alle – Väter wie Mütter – spätestens mit der Geburt extrem viel mit dem Thema Gesunde Ernährung auseinandersetzen.
Wir wollen doch alle gute Startbedingungen für unsere Kinder, also ist das natürlich ein Thema. Und das ist auch gut so, denn ob wir aus Hunger essen oder aus Langeweile, ob vor allem Gemüse auf den Teller kommt oder wir lieber zu Chips & Co greifen – das ist kein Zufall.
„Schon vor der Zeugung, während der Schwangerschaft und in den ersten beiden Jahren nach der Geburt werden die Weichen dafür gestellt, wie wir uns später ernähren“, schreibt TV-Ernährungs-Doc Dr. med. Matthias Riedl in seinem neuen Buch „Das Kochbuch der ersten 1000 Tage“ (Affiliate Link), das bei Gräfe und Unzer erschienen ist.
Darin beschreibt er, warum es für (werdende) Eltern so wichtig ist, die Macht der ersten 1000 Tage zu kennen und zu nutzen. Er erklärt, wie die Ernährung unsere Gene beeinflusst, wie Hunger, Sättigung und Geschmack bei Babys und Kleinkindern funktionieren und was unser Nachwuchs wirklich braucht.
Dr. Riedl ist überzeugt: „Wer sein Kind von Anfang an auf gesund prägt, gibt ihm die beste Gesundheitsvorsorge mit auf den Weg.“ Wir durften ihn dazu interviewen.
Lieber Herr Dr. Riedl, schon vor der Zeugung unserer Kinder stellen wir die Weichen für ihre spätere Ernährung, so steht es in Ihrem neuen Werk „Das Kochbuch der ersten 1000 Tage“. Erklären Sie mal, wie das funktioniert.
Dr. Matthias Riedl: Die Gene bestimmen zwar 75 % der Gesundheit mit. Aber die verbliebenen 25% werden durch den Lebensstil und die Ernährung geprägt.
Was viele Menschen nicht wissen: Unsere Kinder werden im Mutterleib und in den nachfolgenden zwei Jahren auf Essbares getrimmt und geprägt. Das ist bei allen Primaten so. Der kleine Orang Utan lernt von seiner Mutter, welche 100 Pflanzen er essen darf und welche der Hunderten ihm schaden oder ihn auf der Stelle töten.
Dieser Mechanismus wird in unserer Gesellschaft zum Verhängnis, weil sich viele Eltern dieser Phase nicht bewußt sind und erst später mit der Ernährungserziehung, wenn überhaupt, beginnen, wenn es schon zu spät ist. Sobald das Kleine beidäugig sehen kann, ahmt es die Eltern nach. Essen sie mehr Gemüse, verdoppelt sich die Wahrscheinlichkeit, dass es das Kind später auch tun wird.
Im Mutterleib schmecken die Kinder, was Mami isst und gewöhnt sich dran. Aber auch was Mami und Papi vor der Eibefruchtung essen, wirkt sich auf das Kind aus.
Ein Beispiel für die Imitation und Vorbildfunktion: Mittelschichteltern, ein einjähriges Kind und eine Zweijährige sitzen am Tisch im Strandrestaurant. Die Eltern wollen alles richtig machen und bewirken das Gegenteil: Sie trinken Cola, die Kinder bekommen vermeintlich gesunden Kakao, der nicht weniger süß ist als die Cola. Doppelfehler! Natürlich greifen die beiden nach dem Getränk der Eltern – klar Nachahmung.
Die Eltern verweigern die Cola mit der Begründung: „Das ist Erwachsenenbrause.“ Fatal, denn was wollen die Kleinen sehnlicher als das zu tun und so zu sein wie die Eltern. Der Wunsch nach dieser Erwachsenenbrause ist jetzt programmiert.
Aber die Prägung beginnt eigentlich ja eben schon vor der Zeugung über Epigenik, also Veränderung der Gene durch die Lebensweise der Eltern. Scharf gestellt wird das im Mutterleib und in den zwei Jahren danach. Mit dem Kindergartenalter, wo die Gesellschaft erst beginnt, mit der Schulung für gesunde Ernährung, ist das meiste schon angelegt.
Wer jetzt Gesundes mit dem Hinweis darauf anpreist, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Nahrungsmittel abgelehnt werden. Gesund ist kein Argument für Kinder. Nie. Sondern bewirkt Ablehnung. Dies zieht sich bis in das junge Erwachsenenalter mit Anfang 20, wenn die jungen Menschen wieder erreichbar sind für Argumente und rationales Essverhalten. Dann kann man sich wieder selbst „prägen“.
Nun sagen Sie auch, dass wir Eltern die „Macht der ersten 1000 Tage“ mit unseren Kindern kennen und nutzen sollten. Mich setzt so etwas ja immer unter Druck. Was ist denn, wenn ich mit drei Kleinkindern zu Hause eben gerade in dieser ersten turbulenten Zeit gar nicht jeden Brei selbst kochen konnte? Ist es danach zu spät?
Druck und Selbstvorwürfe sind ein schlechter Erziehungsratgeber. Das führt nur zu verkrampften Verhalten. Rückblickend habe ich auch viele Fehler bei meinen beiden Söhnen gemacht. Durch meine Arbeit als Ernährungsmediziner ist bei denen aber im jungen Erwachsenenalter wieder viel korrigiert worden.
Ich mache mir auch keine Vorwürfe für meine Fehler als junger Vater. Ich habe es nicht besser gewusst. Dafür habe ich das Buch ja auch geschrieben. Die Prägung hat verschiedene Phasen bis dahin, dass man die eigenen falschen Prägungen später wieder korrigieren kann. Und das geht in jedem Lebensalter – auch nach den ersten 1000 Tagen. Man muss nur wissen wie.
Und: es kommt nicht nur darauf an, jeden Brei selber gekocht zu haben, sondern besonders auf eine abwechselungreiche Ernährung, reich an Pflanzen. Das lässt sich auch später noch verbessern.
Nun wollen wir als Eltern ja gern alles richtig machen und wünschen uns vor allem gesunde Kinder. Wie können wir diese gerade durch die Ernährung erfolgreich fördern?
Zuerst muss geklärt werden, was artgerechte Ernährung für Menschen ist: und genau um die geht es ja. 500g Gemüse, die richtige Menge Eiweiß, möglichst viel Protein aus Pflanzen, gesunde pflanzliche Öle, höchstens 50g Zucker pro Tag. Brot, Nudeln, Reis und Co. sparsam für den, der sich wenig bewegt und dann möglichst die Vollkornvariante.
Das sollte auch die Ernährung sein, mit der Kinder heranwachsen. Kinder lernen durch Vorbilder und ahmen die Eltern nach. Die Kinder gewöhnen sich dann an diese Ernährung und behalten sie in der Tendenz für das Leben bei. Das betrifft auch die Verwendung gesundheitsfördernder Kräuter und Gewürze. Das ist ja der Grund, warum ein Kopenhagener Kind zum Frühstück Fischbrötchen sist und ein Münchener in der Tendenz eher nicht. Oder das Kind aus Honkong früh eine scharfe Currysuppe mit Trockenfisch liebt.
Bei den ersten 1000 Tagen sind zwei Dinge entscheidend: Die Prägung auf gesunderhaltende Nahrungsmittel und Geschmäcker. Und wichtig: Ein Gehirn wird beispielsweise aus hochwertigen ungesättigten Fettsäuren aufgebaut, wenn die Mutter das nicht ausreichend zu sich nimmt, kann die Intelligenz des Kindes gemindert werden. Das Gleiche gilt für Jodmangel.
Also: Platt gesagt, sollten für die Menschwerdung hochwertige Nährstoffe zur Verfügung stehen. Beispiel: Kinder von Schwangeren, die häufig süße, fettreiche und prozessierte Nahrungsmittel essen, haben ein höheres Risiko für Entwicklungsverzögerungen, die sich etwa in einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) manifestieren können.
Aber auch die Lebensweise der Väter vor der Zeugung ist wichtig: Sind Männer übergewichtig, wenn sie ein Kind zeugen, kann dies das Brustkrebsrisiko der Töchter erhöhen. Sie fanden veränderte molekulare Marker im Sperma der Väter und später im Brustgewebe der weiblichen Nachkommen, zudem entwickelten sich deren Brustdrüsen anders als bei Weibchen mit normalgewichtigen Vätern.
Oder: Ernähren sich Väter vor der Zeugung ihres Kindes so schlecht, dass ein Folsäure-Mangel auftritt, kann das Risiko für Fehlbildungen im Schädel-Gesichts-Bereich und am Muskel-Skelett-System aufgrund epigenetischer Veränderungen steigen (400 Milligramm pro Tag sollten es sein).
Sind Schwangere einer Vielfalt von Mikroben ausgesetzt, etwa, weil sie auf einem landwirtschaftlichen Hof arbeiten, erkranken ihre Kinder seltener an Allergien.
Sie halten auch Essensrituale für sehr sinnvoll. Was denken Sie, wenn sie ein Kind im Kinderwagen sitzen sehen, wie es genüsslich zwischendurch an einer Reiswaffel knabbert? Und Sie sagen, die Ernährung beeinflusse sogar unsere Gene. Heißt das, in uns allen steckt im Grunde auch die Ernährung unserer Vorfahren?
Von Generation zu Generation können über epigenetische Sofortveränderungen die Geninformationen verändert werden: Eine übergewichtige Mutter erhöht so deutlich das Risiko des Nachwuchses für Diabetes.
Das ist das Problem unserer ernährungsfeindlichen Umgebung. Das liegt an unserem uralten Stoffwechsel mit fatalen Folgen: Unsere Vorfahren haben sich zwar immer pappsatt gegessen, wenn was da war und dann wieder lange gehungert. Idealerweise haben sie aber wieder nach ein paar Stunden gegessen.
Kinder bekommen heute bei jeder Gelegenheit etwas in den Mund gestopft, weil man es gut meint, es trösten oder belohnen will. Schließlich schreit das Kleine schon aus lauter Langweile nach Essen. Es merkt, dass man ihm Schokolade gibt, wenn die Eltern Ruhe haben wollen, dann verlangt es danach, in dem es Unruhe macht. Diesen Fehler braucht man nur zweimal zu machen, dann hat es das Kind begriffen.
Gleicheitig legt man ein Verhalten an, dass es sich selbst bei Unruhe oder Langeweile füttern wird. Das fördert natürlich Übergewicht und Dauersnacking, unter dem in Deutschland 60% und in den USA rund 90% leiden – mit den bekannten Folgen. Was ich denke, wenn ich einen Kinderwagen mit der 1,5 Literflasche, dem süßen Tee in der Schnullerflasche und dem Keks im Mund des Kindes sehe? Es tut mir unendlich leid. Aber auch die Eltern tun mir leid. Woher sollen sie wissen, wie schlecht das ist. Sie meinen es gut.
Nun wissen Sie ja selbst, wie knapp die Zeit von jungen Müttern ist: Haben Sie gute Tipps für gesundes Essen für unsere Kleinsten ohne dass wir dabei erstens arm werden und zweitens vor lauter Kochen nicht ins Burnout geraten, um es mal überspitzt zu formulieren?
Bei der Konzeption des Kinderkochbuches haben wir besonders darauf geachtet, dass die Zubereitungszeit kurz ist. Gerade Kinderbreie sind schnell gezaubert. Unbedingt immer mehr ansetzen und einfach einfrieren. Dann ist es am Ende sogar noch billiger. Es ist einfacher als man denkt. Die Belohnung ist das supergute Gefühl wirklich das Beste für den Nachwuchs getan zu haben.
Zum Abschluss: Haben Sie vielleicht noch einen Mutmacher für alle Eltern, die sich gesunde Kinder wünschen?
Ideal ist es natürlich man liest „Die Macht der ersten 1000 Tage “ vor der Kinderplanung einmal durch und checkt damit schon mal die Familienernährung. Davon hat man selbst auch viel: Wir betreuen auch die Hamburger Olympioniken. Die fühlen sich wohler und fitter mit unserer guten Ernährung.
Eine Beachvolleyballerin springt nach unserer Optimierung 4 cm höher, das ist wahnsinnig viel und manchmal spielentscheidend. Ich möchte diese geistige und körperliche Fitness allen zugänglich machen. Aber wenn die Kinder schon da sind, keine Sorge, es ist nie zu spät, die Ernährung zu optimieren.
Wenn Eltern ein neues gesundes Lebensmittel einführen wollen, müssen sie mit Meckerei rechnen. Kinder sind xenophob, das heißt, sie lehnen neues Essen eher ab. Das ist ein Sicherheitsprinzip aus der Zeit im Wald. Dort wimmelt es von giftigen Dingen. Aber was die Eltern empfehlen, wird gegessen. Es braucht aber die wiederholte Exposition, damit sich ein Lieblingsgericht entwickelt – nicht einmal im Monat, sondern zu Beginn jede Woche. Und das 20-30 mal. Man nennt das den mere-exposure-effect: Man liebt das, was man isst.
Das heißt Liebslingsgerichte sind jene, die es häufig zu essen gab. Es ist also für eine gesunde Prägung nie zu spät. So können wir uns in jedem Alter umprägen und auch die Kinder. Schwierig wird es in der Pubertät. Da sind die Kinder vorrübergehend schlechter zu erreichen. Aber Ruhe bewahren, ab 18 wird es langsam besser.
Und wer dieses Interview liest gehört ohnehin schon zu einer priviligierten Gruppe, die sich Gedanken um die richtige Ernährung macht. Sorgen machen mir Eltern, die Drogen nehmen und schwere psychische Traumata erleiden müssen. Ein Drama für ein werdendes Kind. Aber manchmal reichen eben auch Massen an Fertignahrung, die unserer Gesundheit zusetzen und denen der Babys erst Recht.
Infobox: Dr. med. Matthias Riedl ist Facharzt für Innere Medizin, Diabetologe sowie in der Ernährungsmedizin tätig. Er hat 2008 als ärztlicher Leiter die Schwerpunktpraxen Diabetes und Ernährungsmedizin zum MVZ Medicum Hamburg erweitert. Es bündelt die Kompetenzen von Ärzten verschiedener Fachrichtungen und geht die Behandlung von Patienten ganzheitlich an. Matthias Riedl ist Autor mehrerer Bücher zum Thema Diabetes und Ernährung, tritt als Dozent bei universitären Lehr- und Fortbildungsveranstaltungen sowie Kongressen auf und engagiert sich auch im Vorstand des Bundesverbands der Deutschen Ernährungsmediziner (BDEM). 2013 nahm das Magazin „Focus“ Matthias Riedl in seine Empfehlungsliste „Topmediziner“ auf.
3 comments
Unsere Kinder haben beide bis sie ca 2 Jahre alt waren super gesund gegessen… Sämtliches Gemüse und Obst. Auf einmal hat es aufgehört. Obwohl sie beide erst mit 3 Jahren in die Kita gekommen sind und selbst da nicht zu Mittag essen. Das versteh ich nicht. Vor allem sind wir als Vorbilder gleich geblieben!
Herbert Renz Polster gibt zu dieser Frage sehr aufschlussreich Antworten in seinem Buch:
,,Kinder verstehen
Born to be wild: Wie die Evolution unsere Kinder prägt,,
Ein gutes Interview und auch der Hinweis, dass für die Gehirnentwicklung gute Fette wichtig sind, finde ich sehr gut. Ich habe selber 2 Kinder, lt. den aktuellen Wachstumskurven beide „zu dünn“ und beschäftige mich daher viel mit ihrer Ernährung. Ich möchte sie nämlich nicht mit Zucker und schlechten Fetten in „die Wachstumskurven“ füttern… Was mir bei dieser Beschäftigung immer wieder auffällt, ist dass meine Beiden eigentlich genug essen, sich aber offensichtlich überdurchschnittlich viel bewegen. Das macht mir im Hinblick auf die Masse an Kindern, die Übergewicht haben, am meisten Sorgen. Ja, es stimmt viele Kinder werden mit dem Keks in der Hand im Kinderwagen ruhig gestellt, weil es schneller geht ihn zu schieben, an Statt das Ein- oder Zweijährige Kind nebenher laufen zu lassen… viele Kinder werden futternd auf der Rückbank das Autos schnell wohin gefahren, weil es anstrengender ist, ein Kleinkind mit dem Laufrad selbst fahren zu lassen. Oder es ist einfacher mit Popcorn mit den Kindern im Kino zu sitzen als durch ein Schwimmbad zu toben, oder über einen Spielplatz/ Park etc. zu rennen. Wir haben beiden Kindern sehr früh alles Mögliche an Bewegung gelernt (schwimmen, Radfahren, Inlineskaten, Schlittschuh und Ski laufen, Tischtennis etc…). Damit kann man so schöne Zeiten mit den Kids haben und muss sie nicht mit Essen ruhig stellen. Sie sind jetzt 6 und 9 und ich bin immer wieder entsetzt, wie wenige Ihrer Freunde z. B. Federball oder Tischtennis spielen können… Klar muss man dafür die Zeit in die Kids investieren- mir und meinem Mann macht das aber viel Freude. Dabei sind wir beide berufstätig… was ich eigentlich sagen will, ich glaube neben der ungesunden Ernährung spielt heute auch das Bild vom stillsitzenden nicht störenden Kind eine große Rolle sowie auch die Bewegungsunlust der Eltern…