Ihr Lieben, der Artikel von heute morgen zu meiner ersten Geburt wird angeregt diskutiert. Auch Susanne hat sich bei uns gemeldet. Sie ist Hebamme und bot uns ein Gespräch zum Thema Einleitung aus Sicht einer Hebamme an. Vielen Dank für das Interview!
Liebe Susanne, Du bist Hebamme. Wie lange schon und wo arbeitest Du?
Ich bin Hebamme seit 1998. Seitdem arbeite ich mit Unterbrechungen durch Elternzeiten an einem Perinatalzentrum Level 1 in Süddeutschland. Seit 12 Jahren haben wir einen Hebammenkreißsaal und versuchen eine familienfreundliche Geburtshilfe zu erhalten. Unser Team ist sehr motiviert und stark.
In diesem Artikel schreibe ich über meine Geburtserfahrungen nach einer Einleitung. Auch in Deinem Krankenhaus werden Einleitungen durchgeführt. Was sind Deine Erfahrungen mit den beschriebenen Medikamenten?
Wir benutzen Cytotec seit 17 Jahren. Ich bin unglaublich froh über diese Möglichkeit. So wie wir es benutzen, erleben wir selten einen Wehensturm. Ich erlebe Cytotec eher als Medikament, das die Wehen anstößt. Die Geburten verlaufen dann so wie mit natürlich einsetzenden Wehen. Wenn Cytotec zu Wehen führt, führen diese meist auch zur Geburt.
Ich erinnere mich sehr ungern an die Zeiten als uns nur die zugelassenen Medikamente zur Verfügung standen. Die Frauen hatten (und haben) fast alle sogenannte „Primingwehen“. Das sind Wehen, die alle 2 Minuten kommen, sehr schmerzhaft, aber leider nicht muttermundswirksam sind. Zudem müssen die Frauen lange liegen, um das Medikament am Muttermund wirken zu lassen. Außerdem ist es teilweise schmerzhaft, das Medikament vaginal verabreicht zu bekommen.
Viele Frauen berichten ja gerade von den eben auch von Dir genannten Wehenstürmen nach Einleitungen. Ist das typisch?
Bei den zugelassenen Medikamenten ja. Bei Cytotec selten. Wichtig ist jedoch, das Medikament nicht in hohen Dosen zu verabreichen und nicht nach starrem Zeitplan. Wenn Frauen leichte Wehen haben: eher abwarten oder nur wenig Cytotec dazugeben.
Wir verwenden als erstes Einleitungsmittel fast immer den Wehencocktail.
In meinen Geburtsvorbereitungskursen für Paare ab dem zweiten Kind höre ich jedoch immer wieder von Wehenstürmen. Meist haben diese Frauen dann eine sehr hohe Dosis erhalten.
Wie siehst Du die aktuelle Berichterstattung rund um die Einleitungsmedikamente?
Sehr kritisch, jede Intervention in der Geburtshilfe bringt Risiken mit sich. Manchmal sind sie aber notwendig.
Die Studienlage zu Cytotec kann keinen großen Unterschied zu den anderen Medikamenten feststellen. Die Alternative bei wirklich notwendigen Einleitungen wäre dann nur noch der Kaiserschnitt.
Mir fehlen auch Hinweise zu den deutlich unterschiedlichen Kosten von Cytotec zu zugelassenen Medikamenten. Meines Erachtens nach hat die Pharmaindustrie daran auch kein Interesse. Cytotec ist um ein Vielfaches günstiger.
Im Moment mache ich mir Sorgen um alle Familien, die vor der Entscheidung zur Einleitung stehen.
Ich muß noch einmal betonen: Vorsichtig eingesetzt sind die Risiken von Cytotec meines Erachtens nach nicht höher als bei anderen Medikamenten zur Einleitung. Ich möchte wirklich nicht mehr zurück zu den Zeiten vor Cytotec.
Du sagst, Du forderst mehr Verantwortung von den Eltern. Wie meinst Du das?
Ich wünsche mir Paare, die genau nachfragen, ob eine Einleitung wirklich notwendig ist und sich gegebenenfalls auch eine Zweitmeinung holen.
Ich wünsche mir mehr Frauen, die wieder genauer in sich hören. Dabei kann sicher auch Hebammenvorsorge und Begleitung in der Schwangerschaft beitragen.
Ich wünsche mir Paare, die sich vor einer Einleitung darüber informieren, was sie erwartet. Häufig dauert es 2-3 Tage, bis Wehen kommen.
Warum steigt die Zahl der Einleitungen generell?
Die Antwort auf diese Frage fällt mir sehr schwer. Verunsicherung und Angst fällt mir dazu als Erstes ein.
Ich denke, es hat viel mit Angst, Ungeduld, schlechter Aufklärung und einer Schwangerenvorsorge – die nichts mehr mit „guter Hoffnung“ sein – zu tun hat. Das Vertrauen in die Natur verschwindet immer mehr.
Hier in Baden-Württemberg liegt die Einleitungsrate bei 36%! Diese Zahl muss man hinterfragen! Es gibt natürlich Geburten, die unbedingt eingeleitet werden müssen, aber ich denke, man sollte als Team (also das Paar, die Ärzte und die Hebamme) in jedem Fall genau hinsehen.
Weniger Ultraschalluntersuchungen von erfahrenen Spezialisten würde die Rate eventuell auch senken.
Wir brauchen mehr Zeit im Kreißsaal und auch davor für die einzelnen Familien. Wir brauchen erfahrene, geduldige Hebammen und Ärzte/innen in ausreichender Zahl.
Geburtshilfe braucht Erfahrung und Zeit, junge Ärzte/innen lernen auch (zumindest bei uns im Kreißsaal ) von erfahrenen Hebammen.
Wir brauchen Geburtshilfe auf Augenhöhe: Paar-Hebamme-Geburtshelfer. Und dazu braucht es Zeit, gute Kommunikation und Erfahrung. Geburtshilfe ist ein Handwerk.
Du hattest selbst eine Geburtseinleitung. Wie hast Du diese erlebt?
Ich hatte selbst vier Geburten, die mit Cytotec eingeleitet wurden. Nach unseren beiden Töchtern hatte ich leider zwei Sternenkinder in der 18. und 20. SSW und einen Abort in der 13.SSW. Alle drei wurden nach Cytotec innerhalb von 12 Stunden still geboren.
Die Wehen waren nicht so stark wie bei unseren reifen Kindern (egal ob mit oder ohne Cytotec) .
Unser viertes Kind wurde nach Eileitung mit Cytotec am Termin sehr rasch geboren. Ich hatte bei allen Kindern sehr zügige Geburten und bei dem vierten Kind schon ab der 37. SSW einen 4-5cm offenen Muttermund. Somit hat mich seine rasche Geburt nicht überrascht und ich denke, der Verlauf wäre ohne Cytotec ähnlich gewesen. Ich fand die Wehen im Vergleich zu den drei nicht eingeleiteten nicht schmerzhafter oder häufiger.
Eine Einleitung mit den zugelassenen Medikamenten hätte ich für mich wohl eher abgelehnet.
Welches Ergebnis wünscht Du Dir aus der aktuellen Diskussion?
Ich wünschte, der Fokus würde mehr auf die Notwendigkeit aller Einleitungen gehen.
Was können wir tun um die Rate zu senken? Wie können wir wieder mehr Gelassenheit und Ruhe in die Schwangerschaft bringen?
5 comments
Ich finde es super, dass eine Hebamme Paare fordert, die genau nachfragen, Frauen, die in sich hören und dass man sich vor einer Einleitung informiert. Wenn dann von Wehenstürmen die Rede war, dann weil die Dosis zu hoch ist. Aha. Und deswegen ist es eine Panikmache um Cytotec. Ich bin auch total dafür, dass nun alle Patienten sich genau über jedes Medikament, dass ihnen eventuell im Krankenhaus verabreicht werden könnte, informieren und dann selbst die Dosierung festlegen, da man sich offensichtlich nicht auf die fachkundige Beratung durch Hebammen und Ärzte verlassen kann. Und ich wünsche mir Hebammen, die das Ding beim Namen nennen: Panikmache um Cytotec ist wirklich unnötig. Nicht das Medikament ist das Problem, sondern Ärzte und Hebammen, die es fahrlässig einsetzen. Ich wünsche mir Ärzte und Hebammen, die das besser können, damit Paar und Frauen nicht mehr auch noch im Krankenhaus für alles verantwortlich gemacht werden, was ihnen dort passiert, nachdem man ihre dummen Fragen meist damit abgewehrt hat, dass man doch dem Personal vertrauen solle und wenn man ohnehin alles besser wisse, einem nicht geholfen werden könne.
Toll geschrieben. Nach all den anderen Artikeln war ich sehr verunsichert und ängstlich, da heute eingeleitet werden soll.
Schlecht finde ich, dass etwaige Nebenwirkungen mir im kh gar nicht mitgeteilt wurden.
Durch den Artikel fühle ich mich sicherer als davor und hoffe auf eine reibungslose Geburt
Danke für diesen Bericht. Mein erster Sohn ist 14 Tage nach Termin geboren. Dank den wunderbaren Hebammen und Ärzten im Sieglarer Krankenhaus wurde nicht eingeleitet. Ich musste in diesen 14 Tagen ab ET mehr oder weniger täglich zur Kontrolle in die Klinik und ich bin an einigen Tagen hingefahren mit dem Ziel, dass eingeleitet werden soll, weil ich nicht mehr warten wollte und auch nervös und besorgt war. Dieser Wunsch wurde gehört und ernst genommen, ich wurde aber auch beruhigt, dass eine Einleitung medizinisch nicht notwendig wäre, sodass ich immer wieder nach Hause gefahren bin. Die Diskussion um Cytotec lässt diese Zeit nochmal präsent werden und ich bin dankbar, dass mein Sohn sich doch noch von selbst auf den Weg gemacht hat.
Ich finde diesen Bericht sehr gut geschrieben. Meine Erfahrung mit Cytotec ist allerdings eine andere gewesen (Wehenstürme und dadurch unerträgliche Schmerzen) und die Krankenschwester hat diese Erfahrung auch schon öfter gemacht, wie sie erzählte. Vielleicht lag es am festen Zeitplan, ich weiß es nicht. Es ist auf jeden Fall sehr interessant, eine „Expertenmeinung“ zu lesen.
Den Denkanstoß, dass die Eltern mehr nachfragen und sich eine Zweitmeinung einholen sollten, sehe ich aber kritisch. Besonders beim ersten Kind ist man von vielem verunsichert und mir fehlt als Laie auch das medizinische Wissen, um die Situation beurteilen zu können. Wenn mir ein Arzt sagt, dass eingeleitet werden muss und ein anderer sagt, dass dies nicht notwendig ist, weiß ich doch am Ende trotzdem nicht, wem ich vertrauen kann. Ansonsten fand ich diese Sicht wirklich interessant und toll!
Ich finde diesen Bericht sehr gut geschrieben. Meine Erfahrung mit Cytotec ist allerdings eine andere gewesen (Wehenstürme und dadurch unerträgliche Schmerzen) und die Krankenschwester hat diese Erfahrung auch schon öfter gemacht, wie sie erzählte. Vielleicht lag es am festen Zeitplan, ich weiß es nicht. Es ist auf jeden Fall sehr interessant, eine „Expertenmeinung“ zu lesen.
Den Denkanstoß, dass die Eltern mehr nachfragen und sich eine Zweitmeinung einholen sollten, sehe ich aber kritisch. Besonders beim ersten Kind ist man von vielem verunsichert und mir fehlt als Laie auch das medizinische Wissen, um die Situation beurteilen zu können. Wenn mir ein Arzt sagt, dass eingeleitet werden muss und ein anderer sagt, dass dies nicht notwendig ist, weiß ich doch am Ende trotzdem nicht, wem ich vertrauen kann. Ansonsten fand ich diese Sicht wirklich interessant und toll!