Mein Name ist Yvonne und bei uns fiel vor sieben Jahren der Entschluss, dass zwei Familien unter ein gemeinsames Dach ziehen. Mein Partner brachte drei und ich zwei Kinder mit. Ich weiß noch wie euphorisch und naiv ich in das Unternehmen Patchworkfamilie startete. Schließlich glaubte ich dieses Modell zu kennen, quasi seit meiner Geburt. Denn auch ich bin in einer Patchworkfamilie aufgewachsen. Ich dachte also, ich wüsste, was auf mich zu kommt und ich nahm mir vor, die Fehler meiner Eltern nicht zu wiederholen.
Was mich als Kind wirklich quälte, war der abrupte Kontaktabbruch zu meinem Vater. Plötzlich war er ein schlechter Mensch. Plötzlich wurde ich mit Themen konfrontiert, die mich vollkommen überforderten. Wer bekommt welches Mobiliar, wie viel Unterhalt wird gezahlt, wer ist fremdgegangen und hat somit Schuld?
Meinen Stiefvater lernte ich kennen, als er bereits unser gesamtes Hab und Gut in seinen Wagen geladen hatte und mit uns davonfuhr. Wir – das waren meine Mutter, mein Stiefvater, meine beiden Geschwister und ich – lebten ab sofort mit und bei einer mir vollkommen fremden Familie. Ich sollte meinen Stiefvater Vati nennen und seine Eltern Oma und Opa. Meine Welt, wie ich sie bisher gekannt hatte, sollte es ab diesem Moment nicht mehr geben.
Es gab keinen Abschied, weder von meinen Freunden, noch von meiner Schule und auch nicht von meinem Vater. Es sollte ein Jahr dauern, bis ich ihn wiedersah. Der neue Vati hatte ebenfalls drei Kinder, doch die durften wir nie kennenlernen. Wir durften nicht nach ihnen fragen, denn das Leben, das er vor uns geführt hatte, sollte es nicht geben. Heute weiß ich, diese Art wie sich meine Eltern trennten, war kein Einzelfall. In dieser Generation wurde sich meist noch anders getrennt, was viel Leid hervorrief.
Heute stehe ich hier, in der Rolle der Erwachsenen und dem festen Entschluss es besser zu machen. Was brauchen Kinder während und nach einer Trennung?
- In erster Linie brauchen sie uneingeschränkten Kontakt zu beiden Elternteilen.
- Kinder brauchen das Gefühl, dass sie beide Elternteile lieben dürfen und zwar auf ihre eigene Weise, die abgekoppelt ist vom Konflikt, der zwischen ihren Eltern herrscht.
- Kinder wollen über Finanzen, Umgang und Schuld nichts hören. Sie wollen nicht in die Erwachsenthemen hineingezogen werden. Sie haben ihre eigenen Themen.
- Kinder brauchen Zeit, genug Zeit, um den neuen Partner von Mama oder Papa und ihre/seine Kinder kennenzulernen und zwar, bevor alle gemeinsam unter ein Dach ziehen.
- Kinder brauchen sicheren Halt und einen stabilen Rahmen, um sich an die neue Situation zu gewöhnen. Dazu gehört, dass beide Elternteile nach der Trennung weiterhin an einem Strang ziehen.
- Kinder sollten so viel wie möglich aus dem „alten“ Leben mitnehmen dürfen. Eine neue Wohnung, eine neue Umgebung, eine neue Schule, eine neue Einrichtung, neue Regeln und das Wegfallen alter lieb gewonnener Rituale überfordern Kinder und können sie aus der Bahn werfen.
- Und das wichtigste überhaupt: Kinder brauchen in Zeiten des Umbruchs besonders viel Aufmerksamkeit und das Gefühl bedingungslos geliebt zu werden.
Mit diesen guten Vorsätzen startete ich in unser Patchworkfamilienleben, voller Enthusiasmus. Die Kinder waren weit weniger enthusiastisch. Sie vermissten entweder die Mutter oder den Vater. Sie vermissten ihre alte Wohnsituation, ihr altes Leben und ihre Rituale. Doch welche sollen wir jetzt etablieren? Die der einen oder die der anderen Familie? Bei der einen Familie gab es nur samstags Nutella, bei der anderen stand Schokocreme jeden morgen auf dem Frühstückstisch.
Die eine Familie ordnete die Schuhe in Reih und Glied im Schuhregal an, bei der anderen standen sie kreuz und quer in der Veranda herum. Den Satz: „Aber das haben wir schon immer so gemacht.“ hörte ich fast täglich. Irgendwann begriff ich: Jeder wollte das etablieren, was er kannte – um sich sicher und geborgen zu fühlen.
Hinzu kam der Zoff unter den Geschwistern. Wo es mehr Kinder gibt, da gibt es Konkurrenz, um Anerkennung, Aufmerksamkeit und manchmal auch um den letzten Keks in der Dose. Die Rivalitäten der Kinder untereinander hatte ich vollkommen unterschätzt. Diese Machtkämpfe raubten mir oft den letzten Nerv.
Was hilft und half uns in dieser neuen Familienkonstellation? Die Familienkonferenz! Um schwierige Themen zu besprechen und Kompromisse zu finden, wurde bei uns das Family-Meeting einberufen. Immer, wenn es etwas Wichtiges zu besprechen gibt, sitzen wir alle um unseren großen Küchentisch herum und diskutieren. Auch dafür gibt es Regeln. Jeder darf ausreden, niemand wird angegriffen oder beleidigt. Wir hören zu und ziehen das Gesagte nicht ins Lächerliche.
In Patchworkfamilien kommt viel zusammen, worüber sich streiten, diskutieren und verhandeln lässt, oft an mehreren Brennpunkten gleichzeitig. In meiner Rolle als Patchworkmutter ploppten im Alltag plötzlich unzählige Fragen auf, die ich vorher nicht auf dem Schirm hatte:
- Bin ich Stiefmutter, wenn die leibliche Mutter noch lebt?
- Wie viel Verantwortung übernehme ich für meine Bonuskinder?
- Mische ich mich in den Geschwister-Zoff ein oder sollen die das unter sich klären?
- Wie sollen Eltern an einem Strang ziehen, wenn ein Elternteil den Kontakt abbricht und sich im Alltag aus der Verantwortung stiehlt?
- Wie schützen wir uns vor übler Nachrede und Schuldzuweisungen?
- Wie geht man mit Kindern um, die aus den Ferien mit einer Kopfwäsche zurückkommen und Fragen stellen wie: „Papa, warum muss Mama Unterhalt zahlen, du hast doch so viel Geld?“
- Wie allen Kindern Aufmerksamkeit schenken, wenn man selbst am Limit läuft?
- Muss ich mir alles von meinen Bonuskindern gefallen lassen?
- Bin ich egoistisch, wenn ich mich zuerst um meine eigenen Bedürfnisse kümmere und danach um die der Kinder?
- Und was ist mit uns als Paar? Bleibt uns genug Zeit für unser Liebesleben im Alltag und wie lässt sich das organisieren?
- Wie feiern wir Weihnachten? Wie planen wir Urlaub, wenn ein Expartner unberechenbar ist und nicht klar ist, wer alles mitkommt?
1000 Fragen geisterten durch meinen Kopf, doch weder im Netz, noch in Büchern fand ich Antworten, die mich wirklich zufrieden stellten. Also machte ichmich selbst auf den Weg, um Antworten zu finden. Ich bin kreuz und quer durch das ganze Land gefahren, von Ost nach West, von Nord nach Süd, bis in die Schweiz hinein. Ich habe mit Familientherapeuten, Psychologen, Anwälten, Autoren, Wissenschaftlern und Schauspielern gesprochen – und daraus entstand der Patchworkfamilien-Kongress. Er findet in diesem Jahr schon zum 2. Mal statt und läuft vom 14. bis 21. September 2019. Der Kongress ist kostenfrei, online und für jeden, der nach Antworten und Hilfe sucht. Du brauchst dich dafür einfach nur mit deiner E-Mailadresse unter www.patchworkfamilien-kongress.de anmelden.
Heute bin ich definitiv schlauer als ich noch vor sieben Jahren war. Und klar, hätte ich das Wissen damals schon gehabt, hätte ich vieles anders gemacht. Ich wäre viel entspannter in das Unternehmen Patchworkfamilie gegangen. Die meisten Konflikte hätten wir uns sparen können. Ich will nicht sagen, dass wir heute keine Konflikte mehr haben. Natürlich wird in unserer Patchworkfamilie auch gestritten. Aber wir können besser damit umgehen. Konflikte sind heute keine Dramen mehr, sie bedrohen nicht mehr die Existenz unserer Patchworkfamilie. Wir sind zu einer großen Familie zusammengewachsen. Wenn ich heute auf meine Patchworkfamilie schaue, bin ich sehr stolz auf uns.
Ich wünsche mir, dass es ganz vielen Familien da draußen so geht, egal welche Form sie annehmen. Mutter Teresa sagte einmal einen Satz, der mich tief berührt und durch meine gesamte Arbeit trägt: „If you want to change the world, go home and love your family.“
In diesem Sinne alles Liebe für dich und deine Familie!
Foto: Tom Schweers
1 comment
Tolle Initiative
Liebe Yvonne, das ist wirklich eine tolle Initiative und hilft bestimmt vielen Eltern, die neu in diese Situation kommen oder eben schon mitten drin stecken. Ich wünsche eine erfolgreiche Konferenz und vor allem alles Gute für Euch als Familie!