Ich habe den Alltag mit den Kindern nicht geschafft – über die schwerste Entscheidung meines Lebens

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Liebe Heike, Du hast zwei Söhne (7 und 9), die momentan beim Vater leben. Zuvor warst du alleinerziehend. Wann und warum ist die Beziehung zum Vater gescheitert?

Unsere Beziehung war schon einige Zeit recht fragil. Mit der Geburt unseres zweiten Kindes wurde es schlimm, da unser Sohn viel weinte und schrie – über Monate hinweg. Das führte zu einer depressiven Episode bei mir – mit einigen Klinikaufenthalten- und einer Krise in unserer Ehe. Wir haben nicht mehr gut zusammengearbeitet. Die anstrengende Zeit hat uns nicht zusammengeschweißt sondern sorgte dafür, dass irgendwann die Liebe weg und nur noch Streit und Ablehnung da war. Zum Zeitpunkt der Trennung waren die Kinder noch sehr klein (1 und 3 Jahre alt) und haben intensive Betreuung gebraucht- zumal der Kleine noch immer sehr viel weinte, da er schnell überreizt war. Ich selbst war immer noch in einer akuten Depression.

Wie war die Zeit für Dich als Alleinerziehende?

Es war eine sehr schwierige und kräftezehrende Zeit.  Ich habe zwar viel Hilfe in Anspruch genommen (SPFH, ehrenamtliche Helfer und immer wieder verschiedene Beratungen) und jeden Tag gekämpft. Trotzdem hatte ich nie das Gefühl, dass es genug ist. Ich war permanent überfordert – mit der Erziehung, mit dem Alltag, mit den Bedürfnissen der Kinder, mit meinen eigenen Bedürfnissen, mit der Arbeit….Dazu kam auch Kritik von außen, weil die Kinder unbändig waren und das Zuhause oft im Chaos versank.

Wann begannen die Depressionen erstmals und wie äußern sie sich?

Die ersten Depressionen hatte ich im Jugendalter (auch wenn diese damals nicht diagnostiziert wurden). Seit 2001 bin ich fast durchgehend in Therapie. Es ist nicht immer akut, aber irgendwie immer da.

Du hast irgendwann beschlossen, dass es besser für die Kinder ist, bei Vater zu leben. Gab es einen "Auslöser" dafür und wie hast du dich nach der Entscheidung gefühlt?

Das kam diese Entscheidung leider aus einer Kurzschlusshandlung heraus. Nachdem es einige Tage sehr sehr anstrengend und belastend für die Kinder und mich war, hatte ich einen Zusammenbruch. Mir sind die Nerven durchgegangen und ich habe den Vater der Kinder angerufen, dass er die Kinder abholen muss. 

Heute muss ich sagen, dass mein Kopf damals einfach leer war und ich mir nicht mehr erklären kann, warum ich den Auszug der Kinder wollte – wahrscheinlich hätte ich einfach nur noch mehr Hilfe an diesem Tag gebraucht. Ich fühle mich als Versagerin, weil ich ja eigentlich viel Hilfe hatte, es aber doch nicht geschafft habe…

Wie haben die Kinder auf den Umzug reagiert?

Wie sie den Tag des Auszugs selbst erlebt haben, weiß ich nicht genau. Da sie ja regelmäßig vorher schon beim Vater waren, war die Umstellung hoffentlich nicht allzu groß. Sie haben sich gut und schnell dort eingelebt. 

Der Kontakt mit mir war lange noch schwierig. Ich habe sie anfänglich auch nur besucht und nicht zu mir nach Hause geholt. Und auf ihre kindliche Art haben sie mir „Vorwürfe“ gemacht, dass ich sie weggegeben habe. Und auch heute wird das im Streit wird immer wieder zum Thema.

Und wie ist dein Ex damit umgegangen?

Ich glaube, zunächst war er sehr überrumpelt, als mein Anruf kam. Trotzdem hat er sofort reagiert und die Kinder geholt. In der Zeit danach war er verständnisvoll und hat sich um alles Organisatorische gekümmert. Ich bin froh, dass er das alles nicht alleine meistern musste, denn er ist neu verheiratet. Der neuen Frau bin ich bis heute sehr dankbar. 

Wie oft siehst du deine Kinder und wie ist das Verhältnis?

Alle 2 Wochen an den Wochenenden. Manchmal kommt nur ein Kind, manchmal beide zusammen. Wenn es möglich ist, dann sind sie auch immer wieder längere Zeit bei mir, zB in den Ferien Ferien oder an verlängerten Wochenenden.

Das Verhältnis ist gut würde ich sagen, nicht mehr so belastet. Allerdings sprechen wir sehr oft über die schwere Zeit, warum Mama so viel geschrien, so viel geweint hat. Ich hoffe, dass sie es irgendwann verinnerlichen, dass sie keinerlei Schuld daran trifft. Das Verhältnis zu meinem Ex ist heute eher angespannt. 

Dass Kinder nach einer Trennung beim Vater leben, ist immer noch ungewöhnlich. Wie reagieren Fremde/bekannte darauf, wenn du das erzählt?

Die Reaktionen sind sehr unterschiedlich. Verständnis, Schock, totale Ablehnung und auch Vorwürfe, da ein Kind ja schließlich zur Mutter gehöre. Ich rechtfertige mich schon immer dafür.
Immer wieder erkläre ich, dass ich jahrelang kämpfen musste, so viel getan und so viel ertragen habe, um es irgendwie zu schaffen. Letztendlich aber doch die unendlich schwere Entscheidung zum Wohle meine Kinder getroffen habe.

Es gibt auch eine hohe Erwartungshaltung. Schließlich muss es mir doch jetzt gut gehen, da auch der Alltag nicht mehr so stressig und belastend ist. Oder es ist unverständlich, dass ich die Kinder vermisse, da ich ja selbst „entschieden“ habe, dass sie bei ihrem Papa leben sollen. Es ist auch immer wieder schwierig, wenn man neue Leute kennenlernt und die Situation erklären muss – ohne sich komplett emotional zu entblößen.

Wie geht s Dir momentan? Hast du externe Hilfe?

Aktuell werde ich therapeutisch und psychiatrisch betreut. Das Gefühl „es nicht hinbekommen zu haben“ ist schon sehr stark. Es gibt aber auch gute Phasen.

Was wünscht Du Dir für die Zukunft? 

Ich wünsche mir ganz dringend Stabilität. Und obwohl eine große Sehnsucht da ist, dass die Kinder wieder bei mir wohnen, ist es für mich am Wichtigsten, dass es ihnen gut geht. Sie wissen, dass sie jederzeit zu mir zurück können. 

Gleichzeitig weiß ich nicht, ob ich es mir zutrauen würde, dass wir wieder zusammenleben. Ich habe große Angst wieder in die Überforderung zu kommen.

Gibt es Momente, in denen Du die Kinder ganz besonders vermisst?

Ich vermisse sie jeden einzelnen Tag!

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4 comments

  1. Ich finde es inspirierend ehrliche mütter zu hören. Deine Kurzschlusshandlung war bestimmt auch eine und du schätzt dich auch bestimmt richtig ein, dass mehr hilfe geholfen hätte. Es ist wie es ist. Schade, dass die Gesellschaft bei müttern und gerade Alleinerziehenden kritik an chaos und lebendigen kindern übt statt herzlichkeit, wärme, Verständnis und fürsorge zu schenken.

    Alles in allem finde ich es toll, dass auch Väter hauptsächlich kinder haben können. Ich bin mutter von drei jungen und wünsche mir für ihre zukunft, dass solche entscheidungen nicht am geschlecht festgemacht werden sondern am ‚gesunden Menschenverstand‘.

    Ich wünsche dir und deiner familie alles Gute, es klingt als hättet ihr in dieser Konstellation die stabilste gefunden (wobei man bei wachsenden kinder auch schwer statisch sein kann). Nichtsdestotrotz hast du meines Erachtens sehr gut gehandelt! danke dir für die ehrlichen worte!

    1. Ich mach ihr garkeinen Vorwurf.

      Ich finde die „hilfen“ die man bekommt, helfen nicht, sie schaden häufig. Und man kann das kaum als Hilfe bezeichnen. Das was Mütter brauchen gibt es in Deutschland nicht.

      Und ich sehe das als ein gesellschaftliches Problem für das niemand aufrichtiges Interesse oder Verständnis hat.

      Und mich macht das wütend.

      Ist klar das man mit 2 Kindern überfordert sein kann. Wenn keine richtige Hilfe vorhanden ist.

      Jetzt macht sie sich Vorwürfe weil sie ja Hilfe hatte, lol. Und sie den Fehler nicht findet.

      Ich kenne das System. Und ich weiß wovon ich rede, und wie diese „Hilfe“ aussieht. Sei es Jugendamt oder Psychiatrie. LOL

      Ich hab diese Einrichtungen noch nie helfen sehen. Ich sehe das Außenstehende Helfer, normale Menschen, sich eher finden lassen, weitaus mehr und tatsächlich Hilfe leisten. (und nicht schaden)

      Als irgendeine dieser Institutionen.

      Und mit dieser Ansicht und Wahrheit bin ich bei weitem nicht alleine

      Viele sagen es nur nicht, weil was bringt das, außer weiteren Stress mit dem Amt. lol

      Wenn diese Frau genügend bzw. Die richtige Hilfe gehabt hätte (die es in Deutschland nicht gibt) wären ihre Kinder noch bei ihr.

      In Deutschland kriegt man nur einen auf den Deckel wenn man nicht funktioniert und wird kontrolliert. Es wird gänzlich außer Acht gelassen das man als Erwachsener tatsächlich immer noch ein Mensch ist.

      Aber heutzutage erst recht in Deutschland macht es kaum noch was aus eine Mutter zu Behindern oder sie von ihren Kindern zu trennen und zu end fremden. Ist ja Alltag. Gang und gebe. Wen kümmert es.

      Es macht mich wütend.

      So wütend es fällt mir schwer diesen Beitrag überhaupt zu lesen.

      Hilfe!?, ich weiß genau was für Hilfe man in so einer Situation bekommt.

      Es macht mich wütend.

  2. Gut gemacht!
    Liebe Heike,
    ich finde Deine Entscheidung sehr gut, auch wenn Du es vielleicht als Kurzschluß-Handlung empfindest. Du hast in dem Moment bemerkt, dass Dir alles über den Kopf wächst und es ist ja im Alltag vorher auch immer wieder so gewesen.
    Dein Ex-Mann hat genau das gleiche Recht wie Du, dass die Kinder bei ihm leben. Ich finde das übersehen immer viele Erwachsene (häufig Mütter). Vielleicht kann man es auch besser als Verantwortung bezeichnen. Ja, es ist immer noch so, dass vielfach die Mütter die Hauptlast tragen, aber wie soll es sich ändern, wenn wir es nicht anfangen anders zu leben und auch andere Modelle zu akzeptieren.
    Du warst durch Deine Erkrankung nicht in der Lage einen stressigen Alltag mit Kindern zu leisten. Also ist der Papa eingesprungen und trägt seinen Teil der Verantwortung seinen Kindern und auch Dir als seiner Exfrau gegenüber. Lass Dich von anderen Meinungen nicht herunter ziehen!

  3. HEIKE
    Liebe Heike. Deine Worte haben mich sehr berührt. Ich bin ebenfalls alleinerziehend, habe aber leider kein EX, der die Kinder nehmen könnte. Ich verstehe dich. Sehr gut sogar. Ich kenne das Gefühl, etwas nicht zu schaffen, der Stress, die Emotionen……es ist eine Moster Aufgabe, welche von uns alles abverlangt. Meine sind nun Grösser, 8 u 12, es ist nicht mehr so stressig aber „die Wunden des Stress“ bleiben. Ich wünsche Dir alles Gute und viel Kraft. Ich wollte noch sagen, die Kinder abzugeben, weil es eim nicht gut geht finde ich sehr stark und Mutig!!

    Liebe Grüsse

    JEANNE

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