Liebe Julia, Euer Sohn Otto wurde an einem 2. Geburtstag im Dezember 2016 plötzlich krank. Zuerst dachte man, es sei ein einfacher Virus, doch dann war klar, dass der Virus das Gehirn beschädigt hat. Kannst Du erzählen, wie es dann weiter ging?
Otto ging es von Tag zu Tag schlechter, er hat viel geschlafen, nicht mehr gesprochen und war dann auch nicht mehr richtig ansprechbar. Am vierten Tag nach der Diagnose wurde er dann ins künstliche Koma versetzt, künstlich beatmet und ernährt. Das war dann auch der Punkt, an dem uns klar wurde, dass es wirklich schwerwiegend war. Otto war bis zu dem Zeitpunkt fast nie krank gewesen und so stark und fit, dass wir zuerst gedacht haben, dass er bestimmt bald wieder gesund ist. Das war dann leider nicht so. Das war dann am 19.12.2016 und da haben wir auch begriffen, dass wir Weihnachten nicht zuhause feiern werden und dass wir unsere ganze Familie wieder ausladen müssen.
Otto lag ja dann auch für fünf Wochen im Koma. Kannst Du uns von dieser Zeit erzählen?
Die Zeit, in der Otto dann im Koma gehalten wurde, um seine Vitalfunktionen sicherzustellen, während alle hofften, dass die Entzündung abklingt, war furchtbar. Alles war so ungewiss. Am 23.12. haben die Ärzte festgestellt, dass der Druck in Ottos Kopf durch die Entzündung zu hoch war. Am selben Tag haben sie noch ein etwas postkarten-großes Stück Knochen aus seinem Schädel herausgesägt, um das Gehirn vom entstandenen Druck zu entlasten und weitere Schäden zu verhindern. Das war für uns der absolute Tiefpunkt. Wir dachten damals als Laien, sowas kann man doch nicht überleben… Die Zeit danach war sehr zäh, im Grunde war jeder Tag gleich, es hat sich nicht viel getan, die Ärzte kamen mehrmals täglich und haben verschiedene Untersuchungen durchgeführt. Irgendwann, nach etwa fünf Wochen haben sie dann angefangen, die Koma-Medikamente zu reduzieren, damit Otto langsam wieder zu sich kommt. Dann wurde auch der Schädelknochen wieder eingesetzt. Leider hat er in der Zeit nicht ausreichend geatmet und hatte Probleme, seinen Speichel zu schlucken, sodass er nochmals operiert werden musste, um eine sogenannte Trachealkanüle einzusetzen. Das ist ein Plastikröhrchen im Hals, das verhindert, dass sein Speichel in die Luftröhre fließt. Auch das zu ertragen war schlimm für uns.
Wie lange wart Ihr insgesamt im Krankenhaus und wie waren damals die Prognosen der Ärzte?
Auf der Intensivstation der Berliner Charité waren wir ungefähr sieben Wochen, ein Riesendankeschön an dieser Stelle an die tollen Ärzte und Schwestern dort. Wir hatten dort ein Elternzimmer, damit mindestens einer von uns immer bei ihm sein konnte. Wir haben in Schichten geschlafen. Danach waren wir noch über vier Monate in einer Rehaklinik in Brandenburg an der Havel. Die Ärzte haben uns dort zu verstehen gegeben, dass sie davon ausgehen, dass Otto nicht mehr so richtig zu sich kommen wird. Dass er eventuell sogar eine Art Wachkomapatient mit Beatmungsgerät bleiben wird und stark geistig und körperlich behindert sein wird.
Du warst Du dieser Zeit schwanger – ich stelle mir das sehr belastend vor. Konntest Du überhaupt noch unbelastet diese Schwangerschaft erleben bzw. hattet Du Angst vor der Herausforderung mit zwei Kindern?
Richtig, ich war im sechsten oder siebten Monat, als Otto krank wurde. Die Schwangerschaft ist völlig in den Hintergrund getreten. Manchmal ist mir erst abends aufgefallen, dass ich den ganzen Tag noch nicht einmal an das neue Baby gedacht habe. Dann hatte ich natürlich auch ein schlechtes Gewissen. Auf der Intensivstation haben sich alle Ärzte und Schwestern sehr um mich gesorgt, sie hatten die Befürchtung, ich könnte eine Frühgeburt haben, und dann zwei Kinder auf der Intensivstation… Zum Glück hat Rudi bis zum Schluss durchgehalten und ist trotz des ganzen Stresses in der Schwangerschaft ein erstaunlich fröhlicher und ausgeglichener kleiner Bursche. Ich habe mir zu der Zeit noch keine Gedanken darüber gemacht, wie es mit den zwei Kindern werden würde. Ich war sehr, sehr traurig, dass Otto es garnicht so richtig mitbekommen hat, dass er nun ein großer Bruder ist. Das hat mich sehr belastet, ich hatte mich zu Anfang der Schwangerschaft so darauf gefreut, Otto irgendwann seinen kleinen Bruder präsentieren zu können.
Seit wann seid ihr wieder zu Hause und wie geht es Otto heute?
Seit Juni 2017 sind wir alle zusammen zuhause. Mein Mann hat zu dem Zeitpunkt schon ein halbes Jahr nicht mehr gearbeitet, zum Glück ist seine Chefin eine ganz tolle Frau mit viel Verständnis. Otto geht es heute viel besser als von allen Ärzten erwartet. Er hat zwar körperlich, motorisch große Probleme – zum Beispiel kann er nicht selbst sitzen, essen oder gehen, aber geistig ist er wirklich toll drauf. Da er auch Probleme mit der Mundmotorik hat, kann er nicht sprechen, aber wir sind sicher, dass er uns versteht und dass er so gut wie alles, was um ihn herum passiert, mitbekommt.
Von Wachkoma kann absolut keine Rede mehr sein. Auch atmen und essen hat er in der Rehazeit schnell wieder gelernt. Motorisch wird er kontinuierlich gefördert, wir gehen viel zur Physiotherapie und er hat ein Laufgerät, in den er schon immer besser und häufiger selbst Schritte macht. Aber die Koordinierung und Stabilität macht ihm noch große Probleme.
Wie gehen die Brüder miteinander um und was lernen die beiden voneinander?
Rudi und Otto gehen ganz toll miteinander um. Otto ist jetzt vier und Rudi zwei, aber Rudi ist fast wie ein großer Bruder für Otto. Er bringt ihm Spielsachen und versucht, ihm immer zu helfen. Manchmal müssen wir ihn da ein bisschen bremsen. Otto findet Rudi total lustig und freut sich immer sehr über seine Faxen. Zum Glück kommt uns Oma häufig besuchen und spielt viel mit Rudi, sodass er in dem ganzen Trubel um Otto genug Aufmerksamkeit bekommt. Rudi wird mit Sicherheit ein sehr sozialer Junge, er musste früh lernen, Rücksicht zu nehmen. Wir hoffen, dass sich Otto von Rudi auch einiges abgucken wird und Rudis Agilität ihn motiviert, weiterhin viel zu üben.
Wenn Du zurück blickst – was war das Schlimmste für dich in der ganzen Zeit?
Das alles zu ertragen, mitansehen zu müssen, nichts tun zu können, das war das Schlimmste. Stark sein zu müssen, für Otto, für das ungeborene Baby, obwohl man sich so schwach wie nie zuvor gefühlt hat. Otto hat über Monate teilweise nur 30min am Stück geschlafen und dann wieder stundenlang geschrien, gezittert, etliche Male am Tag die künstliche Ernährung erbrochen. Er hatte Panikattacken, epileptische Anfälle und wir wussten die ganze Zeit nicht: Bleibt das jetzt alles für immer so? Ich habe heute keine Ahnung mehr, wie wir das alles ausgehalten haben. Und wir wissen heute immer noch nicht, wohin die Reise geht. Wir denken so oft daran, wie toll Otts Leben jetzt sein könnte, wenn er nicht krank geworden wäre und vermissen auch den kleinen Jungen, der er vor der Erkrankung war.
Wie hat diese Zeit Dich und Euch als Paar verändert?
Schwierige Frage. Ich habe mich früher nie als kämpferische Löwenmama betrachtet. Das würde ich nun schon von mir sagen. Ich musste mich für Otto oft gegen Ärzte, Schwestern, Therapeuten und Behörden durchsetzen, die meinten, sie würden mein Kind besser kennen als ich. Wir haben in der ganzen Zeit unfassbar tolle Menschen kennengelernt, aber leider auch viele menschliche Totalausfälle. Da bin ich mittlerweile sehr konsequent und setze Prioritäten. Ich habe kein Problem mehr damit, mich mit der Krankenkasse anzulegen oder dem Jugendamt meine Meinung zu sagen, mir auch rechtliche Hilfe zu suchen. Zum Glück konnte ich mir meinen Humor bewahren. Anders erträgt man vieles nicht.
Uns als Paar hat die ganze Situation natürlich auch verändert, uns noch mehr zusammengeschweißt. Ich bin meinem Mann sehr dankbar, er hat in der ganzen Zeit viel übernommen, was ich nicht geschafft hätte, nicht ertragen hätte. Besonders die Nächte, in denen Otto teilweise drei bis vier Stunden am Stück geschrien hat. Er war in der Rehaklinik immer bei ihm, als ich mit Rudi zuhause war. Wir wissen, dass wir uns 100% aufeinander verlassen können. Natürlich fehlt uns die Zeit zu zweit. Die Nächte sind immer noch schwierig und früh vorbei, sodass wir noch nicht mal abends für uns haben, da ich immer sehr früh zu Bett gehe. Aber hoffentlich wird das auch bald besser.
Nun gibt es ein Problem, das Euren Alltag belastet..
Ja, Otto wächst und wird ein richtig großer Junge. Leider ist er mittlerweile so schwer, dass ich ihn kaum noch tragen kann. Bisher ging es gerade noch so, dass ich ihn die Treppe herauftragen konnte. Jetzt brauchen wir einen Aufzug. Der lässt sich in unser altes Haus nicht so leicht einbauen, sodass wir noch einen kleinen Anbau machen müssen, alles sehr teuer. Der Aufzug alleine kostet schon 30.000 Euro. Da ich noch immer nicht wieder arbeite, um Otto seine ganzen Therapien zu ermöglichen, kommen wir nur gerade so über die Runden. So eine Anschaffung übersteigt einfach unsere Möglichkeiten.
Wie genau wird der Augzug Euch helfen?
In unserem Haus befindet sich Wohnzimmer und Küche im ersten Stock, das Kinderzimmer und unser Schlafzimmer ist unten. Jedes mal, wenn wir raus wollen, muss ich Otto über die Treppe tragen. Wir müssen schon jetzt sehr auch unsere Rücken aufpassen, obwohl wir Otto ja noch viele Jahre körperlich unterstützen müssen. Ein Lift würde uns im wahrsten Sinne des Wortes eine große Last von den Schultern nehmen. Wenn Otto etwas größer ist, könnte er sich dann auch unabhängig von uns im Haus bewegen.
Wie können unsere Leser Euch helfen?
Deswegen haben wir nach langer Überlegung entschieden, eine Spendenaktion für Otto ins Leben zu rufen. Wir würden uns sehr freuen, wenn sich viele liebe Menschen daran beteiligen. Jeder kleine Beitrag hilft. Der Verein "Stars for Kids" hat uns freundlicherweise ein Spendenkonto eingerichtet. Die IBAN ist: DE94 1805 0000 3000 0053 30 Ganz wichtig: Verwendungszweck "Otto" und – wenn ein Spendenbeleg gewünscht wird – die Adresse. Auf ottowillnachoben.de können sie auch nochmal die ganze Geschichte lesen. Auf der Seite ist auch ein Paypal-Link.
Was sind Eure Wünsche für die Zukunft?
Für die Zukunft wünschen wir uns noch ganz viele Fortschritte für Otto. Wir hoffen sehr, dass er irgendwann wieder auf die Beine kommt und versuchen ihm jegliche Förderung dafür anzubieten. Er ist ja nicht gelähmt, es fehlt ihm nur an Koordination, sodass wir hoffen, dass mit ganz viel Übung noch viel möglich sein wird. Er hat schon so viele Hürden genommen und ist ein sehr willensstarker kleiner Kerl. Wir glauben, dass er noch viel erreichen kann.
3 comments
Otto
Dankeschön, dass ihr Ottos Familie mit eurem Blog mehr Reichweite ermöglicht und Spender wie mich aufmerksam macht. Der Familie und Otto wünsche ich noch viele kleine und große Fortschritte.
Otto
Ottos Geschichte berührt mich. Habe auch einen kleinen Jungen. Ich hoffe, der kleine Betrag hilft und viele andere geben auch etwas Kleines. Frohe Ostern und der Familie viel Kraft für die Zukunft!
Otto
Hut ab! So viel Stärke!
Er hat mich zum weinen gebracht…das Leben kann sich so schnell verändern und dann trotzdem irgendwie positiv zu sein. Ganz viel Kraft und Lebensfreude wünsche ich euch!