Astronautin Insa Thiele-Eich: „Ich bin selbst überrascht, dass es noch möglich ist, die erste deutsche Frau im All zu sein.“

insa thiele eich

Insa Thiele-Eich, 34, ist eine von zwei Kandidatinnen, die 2020 als erste deutsche Frau ins All fliegen wird. Wie die Astronautin aus Königswinter das mit ihrem Job als Wissenschaftlerin und zwei kleinen Töchtern verbinden will – und wie Familienbett, Langzeitstillen und Weltraum-Vorbereitungen zusammenpassen.

Von Lisa Harmann

Welchen „Time Slot“ wir für das Interview einplanen würden, fragt Insa Thiele-Eich, 34, im Vorfeld unseres Treffens. Am Ende werden aus den geplanten anderthalb Stunden dreieinhalb, denn wenn es um Himmel und Erde, Geburten und Raketenstarts, Langzeitstillen und Schwerelosigkeit geht, wird Zeit zu etwas Relativem.

In einem Nebensatz erwähnt sie, dass sie am nächsten Tag nicht nur die Feier zum siebten Geburtstag ihrer Tochter ausrichtet, sondern am Abend auch nach Russland fliegen wird, um mit den ersten Parabelflügen in ihrem drei Jahre andauernden Astronauten-Training zu starten. Grenzen sind da, um sie zu überschreiten, scheint das Motto dieser Frau zu sein.

Jetzt ist sie allerdings ziemlich müde, denn ihre kleine Familie schläft im Familienbett, und in der vergangenen Nacht war das Patenkind zu Gast, das mit den Zähnen knirscht.

Wir treffen uns in ihrem Lieblingscafé in Bonn. Erst mal Kaffee. Der Barista kennt sie – sie hat Teile ihrer Doktorarbeit hier geschrieben – und zaubert ihr einen kleinen Astronauten in den Milchschaum.

astronauten kaffee

Frau Thiele-Eich, Sie möchten ins All fliegen und schlafen sonst zusammen mit Ihrem Mann und den Töchtern in einem Bett?

Ja, tatsächlich. Für uns passt das als Familie. Ich mache nicht alles, was zum sogenannten Attachment Parenting gehört, weil ich davon ausgehe, dass eh jeder im besten Interesse seines Kindes und seiner Familie entscheidet und mich da ungern dogmatisch an Ratgebern orientiere. Aber ja, auch Langzeitstillen gehörte bei uns dazu. Das hätte ich nie erwartet. Ich dachte, man hört nach sechs Monaten einfach auf.

Lässt sich diese bindungsorientierte Erziehung denn mit Ihrem Vollzeitjob vereinbaren?

Ich habe zwei Monate nach der Geburt wieder angefangen zu arbeiten. Mein Mann hatte ein Jahr Elternzeit. Aber auch das ist ein Grund fürs Familienbett. Die Kinder sehen mich tagsüber nicht so viel – und nachts rollen dann zwei kleine Körper zu mir rüber. Das zeigt mir, dass es wichtig ist, dass ich nachts ihrem Bedürfnis nach Nähe entspreche.

Natürlich hätten mein Mann und ich auch abends gern mehr Zeit für uns. Aber ich kann eben nicht wie andere Mütter die Kinder um halb zwölf von der Schule abholen, dann machen wir es halt so.

Wie reagierte Ihr Umfeld auf die schnelle Rückkehr in den Job?

Mit „Oh mein Gott“. Das kam oft vor. Im Rückbildungskurs wurde ich bemitleidet, bei der Stillberatung wurde mir nahegelegt, ich könne doch einen Kredit aufnehmen, statt arbeiten zu gehen. Ich musste ziemlich standhaft bleiben, wenn ich sagte, ich gehe Vollzeit arbeiten, stille trotzdem, pumpe aber ab. Ich meine: Der Papa war ja bei ihr!

Ihnen fiel der Abschied also nicht schwer?

Na ja, als ich den ersten Tag zur Arbeit fuhr, wäre die Wimperntusche besser wasserfest gewesen, und das Abpumpen fand ich auch nervig. Trotzdem fühlte sich das insgesamt für uns stimmig an.

 

"Ich bin selbst überrascht, dass es 2017 noch möglich ist, die erste deutsche Frau im All zu sein." Das sagt Astronautin, Meteorologin und Zweifachmutter Insa Thiele-Eich im Interview mit mir für @elternmagazin (Eltern Family). Erinnert ihr euch an den Astronauten im Kaffee-Milchschaum, den ich hier bei Insta vor einiger Zeit gepostet habe? Das war der Tag unseres ersten Treffens. Und das war ganz schön besonders, weil wir plötzlich feststellten, was uns alles verbindet (und dass ein Foto ihres Vaters durch Zufall in unserer Küche hängt, weil der auch Astronaut war und mit unseren Söhnen posiert hatte). Ich poste ja hier eigentlich nur Privates und drüben bei Facebook die Job-Geschichten, aber das hier war so unvergesslich, dass es eben auch hierher gehört. #journalism #lovemyjob #beautifulmoments #interview #astronaut #iss #astronautin @astro_insa #powerfrau #impressingperson #beeindruckendepersönlichkeit

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Jetzt stehen Parabelflüge, Tauchkurse und ein Pilotenschein an …

Ja, das Training dauert drei Jahre. Ich werde weiter als Wissenschaftlerin arbeiten, habe aber die Stundenzahl reduziert. In zwei Jahren wissen wir, wer von uns beiden fliegen wird und wer nur als Backup, also als Ersatzfrau, eingesetzt wird. Mein Vater

war ja auch Astronaut, er hat zwölf Jahre gewartet, bis er endlich mal selbst ins All fliegen durfte. Auf der Internationalen Raumstation (ISS) selbst werden wir nur zwei Wochen sein, die Kinder müssen also nicht allzu lang auf mich verzichten.

Bei den Parabelflügen steigen Sie mit einem Flugzeug sehr steil auf und dann wieder ab, sodass oben ein kurzer Moment der Schwerelosigkeit entsteht. Wird Ihnen da nicht schlecht?

Ach, ich habe schon einmal Parabelflüge gemacht, ich halte das gut aus, ich finde es eher spannend. Ich habe auch in den Schwangerschaften nicht zur Übelkeit geneigt.

Haben Sie eigentlich Vorgaben, etwa ein Verbot, schwanger zu werden?

Keine konkreten. Aber ich glaube, für eine Schwangerschaft wäre jetzt nicht der allergünstigste Zeitpunkt. In der ersten Zeit mit Säugling stehen ja erst mal seine Bedürfnisse im Vordergrund. Aber ich bin ja noch jung, wer weiß, was danach kommt.

Warum wollen Sie ins All?

Aus wissenschaftlicher Neugierde. Ich freue mich auf die vielen verschiedenen Experimente, die wir auf der ISS machen können. Zum Beispiel auch im Biologischen – beispielsweise, wie weibliche Hormone auf Schwerelosigkeit reagieren.

Es geht Ihnen also nicht vorrangig darum, dass jetzt auch mal dringend eine Frau ins All muss?

Tatsächlich wollte ich schon immer Astronautin werden. Ich bin selbst überrascht, dass es 2017 noch möglich ist, die erste deutsche Frau sein zu sein. Das ist der eine Teil meines Jobs, den ich von Herzen gern annehme. Es nervt mich nämlich, dass ich, wenn ich einen Kindergeburtstag zum Thema Raumfahrt organisiere, als Deko nur männliche kleine Astronauten kaufen kann.

Sie möchten einen Weg ebnen?

Wenn ich die Aufmerksamkeit, die uns jetzt zuteilwird, nutzen kann, um etwas zu ändern, nehme ich das dankend an. Ich möchte meinen Kindern vermitteln, dass auch Mütter Reifen wechseln können. Und dass nicht alle Mädchen MINT-Fächer, also Mathe, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, doof finden müssen. Die sind nämlich superspannend.

thiele eich autogramm

Nehmen Sie sich da auch ein Beispiel an Alexander Gerst, der seine Reise zur ISS im Herbst 2014 ja sehr öffentlich gemacht hat?

Auf jeden Fall! Er hat so viele Menschen erreicht mit seinen Fotos und Postings aus dem All! Ich finde das super, denn Raumfahrt ist ja schon etwas sehr Emotionales.

Inwiefern?

Es geht um Grenzüberschreitungen. Ich habe einmal gelesen, dass nur zehn Prozent aller Menschen an ihre Grenze gehen. 90 Prozent tun das also lieber nicht. Christoph Kolumbus haben sie damals auch gewarnt: Bist du bekloppt? Du wirst von der Erde fallen. Denn damals dachte man ja noch, die Erde wäre eine Scheibe. Aber, wie wir wissen: Er hat sich trotzdem auf den Weg gemacht. Es waren bislang erst 550 Menschen im All – das sind nicht besonders viele. Da finde ich es wichtig, all den anderen die eigenen Erkenntnisse dann auch weiterzuvermitteln.

Erschrecken Sie sich manchmal vor der eigenen Courage?

Klar. Man fliegt halt ins All, statt zu Hause mal wieder den Rasen zu mähen (lacht). Ich neige zudem dazu, in sehr stressigen Phasen auch noch Übernachtungspartys für die Kinder zu veranstalten.

Aber im Ernst: Manchmal denke ich natürlich auch, wie entspannend es wäre, nicht immer neue Pläne zu haben. Aber das wäre dann halt nicht ich. Wir versuchen, die Kinder nicht länger als 35 Stunden pro Woche fremdbetreuen zu lassen, mein Mann hat sich intern versetzen lassen, um öfter Homeoffice machen zu können.

Wir könnten uns für die Zukunft auch mal ein Au-pair-Mädchen vorstellen. Und wir haben ein super Freundesnetzwerk: Mal nimmt die eine die Kinder, mal die andere. Dann hat man auch nicht so ein schlechtes Gewissen.

Haben Sie manchmal Angst vor dem, was vor Ihnen liegt?

Auch. Wobei ich Angst – genauso wie ein schlechtes Gewissen – als gesunde Komponenten betrachte, sie lässt uns nachhaken: Kenne ich alle Risiken? Habe ich nichts übersehen? Ich bin beispielsweise mit den Kindern am Wasser sehr vorsichtig, weil ich keine Rettungsschwimmerin bin und das Risiko nicht abschätzen kann. Und ich weiß aus der Geschichte der Raumfahrt, dass dort alles getan wird, um aus vergangenen Fehlern zu lernen.

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Haben Sie ein Ritual mit den Kindern, während Sie auf Dienstreisen sind?

Ja, ich habe immer „Muffin“ dabei. Das ist unser Dienstreise-Kuscheltier, ein Glubschi. Wenn ich weit weg bin, wie neulich in San Francisco, dann schicke ich mit dem Handy Fotos von „Muffin“ und erzähle den Kindern dazu kleine Geschichten. Die Mädchen schicken dann Smileys und Sprachnachrichten zurück. „Muffin“ soll natürlich auch mit ins All.

 

Dieses Interview erschien ursprünglich in der Zeitschrift Eltern Family (Ausgabe 11/2017).

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1 comment

  1. Toller Artikel
    Danke für den tollen Artikel! Ich würde mich freuen, weitere Berichte über etwas ungewöhnliche Jobs zu lesen!