Ich erinnere mich gut an den Abend, nachdem wir es erfahren hatten, ich habe die Kinderstimmen im Ohr hinten im Hof, das Geräusch des Fußballs, der gegen das Gitter knallte, und das Flirren der Eichenblätter vor dem offenen Fenster. Wir lagen auf dem Bett, meine Frau und ich, wir haben nicht geredet und hatten das Gleiche im Kopf. Ich lag auf dem Rücken, den Blick zur Decke und dachte an die drei Herzen, die da neben mir schlugen, und hatte nur ein Wort im Kopf: Zwillinge.
Ich weiß noch, wie mich dieser eine Gedanke schwer gemacht hat und schwerer, wie er mich immer tiefer in die Matratze gedrückt hat. Nie vorher hatte ich so etwas gespürt. Zwillinge, dachte ich, wieder und wieder, zwei Kinder, wie soll das gehen? Erst in dem Moment, an diesem Abend damals ist er mir klar geworden, der Umbruch, der Einschnitt, der mich seitdem begleitet, der größte von allen. Immer, all die Jahre, war ich Kind. Jetzt würde ich bald Vater sein und es für immer bleiben.
Das Ende des Lavierens ist das, des Wird-schon-irgendwie.
Ich erinnere mich an die ersten Wochen nach der Geburt, wir liefen alle auf Hochtouren und kamen doch nicht vom Fleck. Wir machten und machten, um mit all den neuen Bedürfnissen Schritt zu halten, wir waren glücklich und verzweifelt, sahen den beiden Kleinen in die Augen, die sie erst nach und nach öffneten, versuchten sie zu verstehen, wollten etwas erkennen in ihren Gesichtern, ein Lächeln, ein Zwinkern, war da nicht was?
Selbst an die einfachsten Dinge mussten sie sich erst langsam gewöhnen, ans Essen und ans Schlafen, an das Licht, den hellen Tag und die tiefe, dunkle Nacht. Sobald die Sonne nachmittags nicht mehr ins Wohnzimmer schien, das Licht sich änderte, fing die erste an zu schreien. Dann haben wir sie durch die Wohnung getragen, bis endlich Schlafenszeit war. Die erste Nachtschicht war meist meine, ich versank in Kissen und Decken, wollte nie wieder aufstehen, zwei Stunden später war meist die erste wieder wach.
„Willkommen im real life“, schrieb mir damals eine Freundin mit zwei älteren Kindern, aber die Sache war: Es fühlte sich ja überhaupt nicht so an. War das echte Leben nicht die 33 Jahre davor? Es schien jetzt alles vorbei.
Vom Wohnzimmerfenster aus, ein Kind auf dem Arm, beobachtete ich oft die Leute drüben im Park, auf Fahrrädern, zu Fuß, junge Pärchen Hand in Hand. Ich dachte dann an meine Frau und mich, an unsere kleinen Reisen, an lange Wochenenden in Barcelona und Prag, an Nächte an der Adria und unseren Sommer in Andalusien. Schluss damit, dachte ich, vielleicht für immer.
Ein paar Wochen nach der Geburt machten wir die ersten Gänge mit den Kindern durchs Viertel. Eine Befreiung! Wir setzten uns in die Sonne vor dem Café, bestellten Buletten und Macchiato. Der Kinderwagen stand eingequetscht zwischen Holztischen und Klappstühlen, unsere Freunde kamen, wir haben gegessen und getrunken und geredet und so sehr gefreut, dass in der ganzen Zeit nur eine von den beiden Kleinen aufwachte und gefüttert werden wollte.
Dann war der erste Sommer da, die erste lange Reise, nach Frankreich, zu den Eltern meiner Frau. Zwei Tage fuhren wir in unserem alten Kombi, den Kofferraum voll bis unters Dach, Körbe voll Kinderzeug selbst noch zwischen den Babyschalen auf der Rückbank. Und mittendrin meine beiden Töchter, in den Spiegeln an den Kopfstützen konnte ich sie sehen. Zwei selige Gesichter in all dem Kram. Fast die ganze Fahrt über schliefen sie, als wäre das stete Geräusch des Motors das Beruhigungsmittel, auf das sie all die Wochen gewartet hatten, ihr Sound of Silence.
Das alles, die Erinnerungen, die so klar noch in mir sind, ist nun auch schon wieder ein Jahr her. Schon ist der nächste Sommer da. Die Mädchen gehen in die Kita, laufen durch die Wohnung, klettern aufs Sofa, sprechen erste Wörter in ihrem süßen Kauderwelsch.
Ich habe noch die Worte der Schwestern im Ohr, damals in der Geburtsstation, als wir so viele Fragen hatten und alles aussichtslos schien. „Warten Sie nur ab“, haben sie uns gesagt, „es geht alles so schnell!“ Ich habe ihnen kein Wort geglaubt.
Und doch sind wir jetzt hier, mit zwei Kleinkindern, keinen Babys mehr. Papá, rufen sie, wenn sie meine Schritte hören oder die Haustür, die ins Schloss fällt, Papá!
Ich weiß nicht wie, aber wir sind schon weit gekommen und wir haben noch viel vor, auf unserem langen Weg ins Licht der Tage.
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