"Du bist aber groß geworden!" Dieser Satz begegnet unserer Tochter im Moment oft. Und ja, er stimmt, aber er nervt natürlich auch gewaltig. Wie überhaupt so einiges nervt, wenn man größer wird. Besonders so groß.
Groß geworden ist sie also. Das stimmt. Die einstige Babytochter geht mir heute bis zu den Schultern – und wird, wenn wir den Ärzten Glauben schenken – wohl einmal deutlich größer werden als ich. Sie sieht aber auch groß aus und benimmt sich groß. Da ist sie wohl, die Phase des Umbruchs, sie geht jetzt auf die weiterführende Schule, wo nicht mehr Ringelreihen getanzt, sondern auf dem Schulhof geknutscht wird. Nicht sie, nicht ihre Klasse, nicht in der 5. Aber die größeren Schüler, die machen das und das ist natürlich genauso eklig wie beeindruckend.
Katharina fragte mich neulich, wie das denn bei mir so war, damals, in dieser Umbruchphase. Und wir stellten beide fest, dass wir Tagebuch geschrieben haben wie die Irren. Das Schreiben war für uns also schon damals ein probates Mittel, mit unseren Emotionen fertig zu werden 😉
Eins meiner Tagebücher ist beklebt mit diesen Fell-Aufklebern, die es damals gab und die wir in Sticker-Alben tauschten, erinnert ihr euch? Es beginnt mit den Worten: "Genn´s Orphan, mein geliebtes Pferd, lahmt."
Tatsächlich war diese Nachricht für mich damals welterschütternd. Mein Orphi lahmte! Und dabei gehörte er nicht mal mir. Ich ritt zweimal pro Woche in einem Stall hier bei uns in der Gegend, montags Dressur, donnerstags Springen, ich hatte Spaß und ich kam weiter. Mittwochs zappelte ich beim Jazz Dance mit meinen Freundinnen um die Wette und wenn mein Bruder mal wieder ein Fußballspiel hatte, fuhr ich mit dem Einrad drum herum, um mich nicht zu sehr zu langweilen.
Mein Tagebuch besteht also zu großen Teilen aus meiner Pferdeliebe, aber zu noch größeren Teilen war ich unglücklich verliebt. Mit einem großen Bruder im Haus, kam ich natürlich regelmäßig in Kontakt mit "den Großen" und Klein-Lieschen verrannte sich in Verliebtheiten, die fast manisch wurden. Als kleines Mädchen war ich so sehr in den FC-Torhüter Bodo Illgner verliebt, dass ich bei der Nachricht seiner bevorstehenden Hochzeit weinte. Später wurden die Kerle real.
Sie waren Mannschaftskollegen meines Bruders oder Klassenkameraden oder eben Brüder meiner Freundinnen. Und ich sag euch was: Ich hatte zwar auch Verehrer (die wurden in Listen im Tagebuch angeführt), aber nie, wirklich nie hab ich einen meiner Angehimmelten von mir überzeugen können. Sämtliche Schwärmereien zwischen 11 und 14 Jahren liefen ins Nichts. Oder es kam jemand dazwischen. Im Nachhinein erzählt sich das so lustig, aber es war selbstverständlich damals weltbewegend.
Was ich sagen möchte: Ich erinnere mich noch sehr gut und deutlich an das Gefühlschaos der damaligen Zeit. Ich weiß noch, wie ich mit 11 meinen Vater auf eine Dienstreise in die Antarktis begleiten durfte und von dort sehnsüchtige Briefe verschickte. Wie ich mit 11 Weihnachten auf diesem Kreuzfahrtschiff im ewigen Eis verbrachte, wo es nicht dunkel wurde und wo ich mich kleidete wie eine 45-jährige Bayerin, weil ich dachte, das sähe super-erwachsen aus (siehe Foto).
Etwas später, in der Hochphase der Pubertät, musste ich nach der Schule regelmäßig beim Anblick meiner Mutter weinen. Sie erinnert sich daran zwar nicht, aber für mich war da so viel unerklärliche Distanz, dass ich mich oft in mein Zimmer verkroch, wo ich stundenlang das gleiche Lied hörte, die Stopp-Taste betätigte, wieder Play drückte, bis ich den Songtext endlich zu Papier gebracht hatte, damit ich es mitsingen konnte. Mein Bruder ist bis heute traumatisiert. Wenn er im Radio "Don´t speak" von "No doubt" hört oder "Losing my religion" von "R.E.M." hört, schwillt ihm noch heute der Wutkamm an, weil ihn seine Schwester damit so unendlich genervt hat.
Es ist eine besondere Phase, die da grad bei uns ansteht und ich bin wirklich gespannt, wie es für unsere Große sein wird.
Das mit der Pferdeliebe jedenfalls hat sie geerbt. Zum Fußball der Brüder muss sie auch mit. Und das mit den Kerlen? Nun, dafür müsste ich an ihre WhatsApps. Man teilt mit der Mama schließlich nicht mehr alles. Und das ist auch gut so. Privatsphäre gilt bei uns auch innerhalb der Familie.
Das Handy ist nun das, was für uns damals das Tagebuch war. Wir respektieren das. Wenn sie etwas erzählen will, kann sie das tun. Ob sie auch Listen mit Verehrern anlegt? Ich weiß es nicht. Aber es würde mich nicht wundern. Denn sie ist in letzter Zeit echt verdammt groß geworden… So groß, dass sie eben nicht mehr alles mit uns teilt.
2 comments
Soooooooo schön
Oh Lisa, das hast du so schön geschrieben! Ich lese deine Texte so gerne!!
Huhu, das war schön zu lesen.
Huhu, das war schön zu lesen…, heute ist meine Große 10 jahre alt geworden!!! Ich denke in letzter Zeit oft an meine Jugend zurück. Die Große ist schon sooo selbständig und es macht mich ganz wehmütig sie „erwachsen werden“ zu sehen…. Aber in Erinnerung an Früher gelingt es mir doch einigermaßen, ihr ihren Raum zu lassen….