Ihr Lieben, vor zwei Tagen haben wir auf unserer Facebook-Seite den Artikel von Conny Wenk geteilt, die über ihr Leben mit ihrer Tochter Juliana berichtet. Juliana hat das Down-Syndrom. Daraufhin meldete sich Kathrin bei uns – ihre Tochter Zoe ist fünf Jahre alt und hat ebenfalls das Down-Syndrom. Wir haben mit Kathrin über ihr Leben als alleinerziehende Mutter von zwei Kindern (Zoes Bruder ist fast drei) gesprochen und wie sie die Diagnose Down-Syndom erlebte.
Liebe Kathrin, Deine Tochter hat das Down-Syndrom. Wie und in welchem Stadium der Schwangerschaft hast Du davon erfahren?
Der erste sehr deutliche Verdacht kam in der 12. SSW. Da ich vorher bereits zwei Fehlgeburten und eine Totgeburt hatte, wurde ich zu einem sog. "frühen Fehlbildungsultraschall" geschickt, der eigentlich nur dazu dienen sollte, mir und meinem Mann die Angst zu nehmen, dass auch dieses Kind wieder die tödliche Fehlbildung (Anenzephalie) unserer ersten Tochter haben könnte. Wir waren nach der stillen Geburt bereits humangenetisch untersucht worden und wussten daher, dass wir keine Träger irgendwelcher genetischen Defekte sind. Es gab also keinen Grund, davon auszugehen, dass wieder etwas auffällig wäre.
Doch leider war die Nackenfalte bei dieser Untersuchung viel zu groß, der Nasenknochen fehlte und im Herzen sah man einen "White Spot". Die Pränataldiagnostikerin, die wir auch schon aus der vorangegangenen Schwangerschaft kannten, erklärte uns nach der Untersuchung, dass jede einzelne der drei Auffälligkeiten Softmarker sind und zeigte uns drei verschiedene errechnete Wahrscheinlichkeiten auf ihrem Computerbildschirm: je 1:21 für Trisomie 13 und 18, 1:4 für Trisomie 21. Natürlich kam direkt die Angst hoch, das Kind könnte wieder nicht überlebensfähig sein und wir fragten uns auch: "Warum schon wieder wir?!"
Auf Druck meines Mannes hin, habe ich dann drei Wochen später eine Fruchtwasserpunktion gemacht. Eigentlich wollte ich das gar nicht, denn das Risiko, dass dem Kind dabei etwas passiert, wollte ich nicht eingehen, doch mein Mann meinte, er könne definitiv nicht bis zum Ende mit der Unwissenheit leben – so sah ich mich nahezu gezwungen.
Einen Tag nach der Punktion rief die Ärztin an und bestätigte Trisomie 21. Sie war sehr erstaunt, dass ich recht gelassen reagierte, aber für mich war es "nur" das Down-Syndrom- nichts grundsätzlich Lebensbedrohendes und über das "Was wäre wenn" in Bezug auf diese Diagnose hatten wir schon vor der Schwangerschaft immer wieder gesprochen und waren uns einig, dass das für uns niemals ein Abbruchgrund wäre. Neben der Diagnose teilte mir die Ärztin auch das Geschlecht mit und als ich meinem Mann von beidem berichtete, war seine Reaktion auch sehr schlicht: "Ich bekomme eine Tochter. Punkt!"
Wie hast Du Dich nach der Diagnose gefühlt?
Im ersten Moment hat es mir den Boden weggerissen. Ich konnte einfach nicht verstehen, wieso es wieder uns traf, obwohl doch bereits festgestellt wurde, dass mit uns genetisch alles in Ordnung ist. Selbst die Humangenetikerin meinte, die Wahrscheinlichkeit, dass es wieder uns getroffen hat, war so hoch, wie ein Sechser im Lotto – andererseits war ich erleichtert, dass mein Kind diesmal lebensfähig sein würde (auch wenn im Laufe der Schwangerschaft noch ein Herzfehler festgestellt wurde).
Im Grunde hab ich mich schnell mit der Situation arrangiert, trotzdem gab es immer wieder schwache Momente, in denen ganz furchtbare Gedanken und Ängste hochkamen. Auch wenn ein Abbruch zu keinem Zeitpunkt auch nur ansatzweise in Frage kam, weiß ich noch, wie ich einmal am Telefon zu einer Freundin sagte, ich könne zumindest nachvollziehen, wieso sich manche Frauen in der Schwangerschaft gegen das Kind entscheiden, wenn die Diagnose gestellt wird.
Viele Ängste waren zwar anders begründet, aber ansonsten denen jeder anderen Frau, die zum ersten Mal ein Kind bekommt, sehr ähnlich: "Schaffe ich das wirklich?", "Bin ich dem gewachsen?", "Werde ich eine gute Mutter?"
Aber eine Angst hat mir schon in der Schwangerschaft ein wahnsinnig schlechtes Gewissen gemacht: "Werde ich mein Kind, so wie es sein wird, wirklich lieben können?". Natürlich gab es aber auch noch andere Ängste, z.B. bezogen auf den Herzfehler oder den Allgemeinzustand. Leider kann man ja vor der Geburt nicht wissen, wie fit das Kind am Ende tatsächlich nach der Geburt ist und nicht selten ist es ja so, dass sie nicht stark genug sind, normal zu trinken und sondiert werden müssen oder sogar Sauerstoff bekommen, auch das macht einem vor der Geburt wahnsinnige Angst.
Wie waren die Redaktionen von Bekannten/Freunden/Familie?
Tatsächlich bekamen wir erstmal fast ausschließlich Zuspruch und die typischen Vorurteile zu hören, wie "Ach, die sind ja alle so lieb" o.ä.. Heute glaube ich, dass viele leere Worte dabei waren, weil man sich einfach nicht traute, anders zu reagieren, da wir unsere Entscheidung direkt so selbstverstädlich vermittelten, wie wir sie eben auch empfanden und ganz klar kommunizierten, dass wir nicht eine Sekunde auch nur über einen Abbruch nachgedacht haben.
Die einzig negative Reaktion kam von meinem Vater und die kam viel später als gedacht. Ich bin ehrlich, nach der Diagnose hatte ich fest damit gerechnet, dass er äußern würde, dass er einen Abbruch vornehmen lassen würde, aber dass er mir dann in der 37. Woche vollkommen aus dem Nichts vor die Birne knallen musste, dass er das Kind ja nicht bekommen würde, hat mich dann doch geschockt.
Wie hat die Diagnose die restliche Schwangerschaft beeinflusst?
In erster Linie war ich trotzdem weiter eine ganz normale Schwangere mit ganz normalen Wehwehchen, aber ich informierte mich einfach über ganz andere Sachen, als die anderen. Ich las Erfahrungsberichte anderer Familien, in denen es Kinder mit Down-Syndrom gab, meldete mich in einem DS-Forum an, traf mich mit Müttern, die die gleiche Diagnose hatten oder sogar mit Eltern und ihren bereits geborenen Kindern mit Trisomie 21.
Ich erkundigte mich über Frühförderung, SPZ, HPZ, Physiotherapie. Ich wählte als Geburtsklinik die einzige Klinik im Umkreis mit Kinderkardiologen im Haus und versuchte mich auf alle Eventualitäten einzustellen. Ich wollte wirklich auf alles vorbereitet sein, was mich besten-, aber auch schlimmstenfalls nach der Entbindung erwarten könnte, damit ich mich dann erstmal um nichts mehr kümmern muss, als um mein Kind und das hat auch gut geklappt.
Wie hast Du die ersten Wochen mit Zoe erlebt?
Zoe wurde 40+3 nach natürlichem Blasensprung Dank abfallender Herztöne doch per Not-Sectio geboren und zur besseren Überwachung auf die Frühchenstation gebracht. Das dortige Füttern nach Uhrzeit und der Druck, der wegen Trinkmengen gemacht wurde, sowie das überflüssige Sondieren, von dem sie immer spucken musste, machten uns die ersten fünf Tage etwas schwer.
Aber zu Hause dann, als ich endlich anfangen konnte, mich nur auf mich, mein Kind und meinen Mutterinstinkt zu verlassen, waren wir erstmal eine ganz normale Familie. Zoe war ein ruhiges Baby, schrie fast nie, schlief mit fünf Wochen durch – ein echtes Anfängerbaby eben. Mit drei Monaten fingen wir mit wöchentlicher Physiotherapie nach Vojta an und mit 4,5 Monaten wurde der Herzfehler behoben. Die Herz-OP war unsere erste richtige Bewährungsprobe, aber Zoe hat das alles so toll weggesteckt, dass sich das heute so anfühlt, als wäre das nicht tatsächlich uns passiert, sondern nur im Fernsehen oder so.
Egal, wo wir mit ihr waren, egal wen wir trafen, alle Leute reagierten stets positiv auf unser fröhliches Baby und obwohl sie eigentlich alle offensichtlichen Marker besitzt, haben viele Menschen das Down-Syndrom gar nicht gesehen. Oder vielleicht wollten sie es auch einfach nicht sehen?!
Wie geht es Deiner Tochter heute?
Heute geht es Zoe blendend. Sie ist 5,5 Jahre alt, mittlerweile große Schwester eines fast 3-jährigen Bruders, gilt offiziell als herzgesund und geht in einen integrativen Kindergarten. Sie ist ein echter Wildfang und wahnsinnig frech und selbstbewusst. Sie ist eine kleine Rampensau, wo immer es eine Bühne oder auch nur ein Mikrofon gibt, bekommt man Zoe nicht weg. Seit sie 3 ist, geht sie in die Tanzschule und durfte sogar erfolgreich mit auftreten.
Letztes Jahr habe ich mich vom Vater der Kinder getrennt und wie sind vom Niederrhein an den Teutoburger Wald gezogen. Zoe ist wirklich ehrgeizig, mit dem richtigen Anreiz schafft sie eine ganze Menge und sie ist wirklich pfiffig, wenn es darum geht, ihre Ziele zu erreichen. Ihre Schwäche ist die aktive Sprache. Sie kann zwar fast alles verstehen und auch viele einzelne Wörter sprechen, aber über Sätze mit zwei, selten mal drei Wörtern kommt sie noch nicht hinaus. Das kompensiert sie aber mit GUK (Gebärdenunterstützte Kommunikation) und kann sich so auch fremden Menschen gegenüber weitestgehend begreiflich machen.
Habt Ihr jemals negative Erfahrungen machen müssen aufgrund des Down Syndroms?
Eigentlich nicht wirklich, eher im Gegenteil! Seit dem Umzug allerdings merke ich immer häufiger, wie Zoe bei Kindern ihres Alters auf Ablehnung stößt. Es fehlt meist an Verständnis, was man von Kindern natürlich auch nicht erwarten kann, aber beim Papa in dem kleinen Dorf am Niederrhein sind die meisten Kinder direkt mit ihr aufgewachsen, sie war immer wie selbstverständlich dabei und sie wurde einfach hingenommen, wie sie eben ist. Hier ist sie die Neue und das Kind, das gern mal alles kaputt macht, das nicht auf "Nein" hört und das eben auch nicht wirklich sprechen kann, das überfordert viele Kinder. Da das aber im Kindergarten z.B. gar nicht so extrem zu sein scheint, bin ich guter Hoffnung, dass das besser wird, wenn sie hier auch irgendwann länger und dann selbstverständlicher dazugehört.
Was hast Du durch die Behinderung Deiner Tochter gelernt?
Ich habe viele Dinge viel mehr zu schätzen gelernt. Die kleinen Erfolge, Entwicklungsschritte, die bei anderen Kindern vollkommen selbstverständlich sind, lassen mich Luftsprünge machen. Ich habe aber auch gelernt, weniger nachsichtig zu sein, wenn mir etwas nicht gut tut, sei es ein Zustand, eine Situation oder sogar eine Person. Nach Zoes Geburt habe ich den Kontakt zu einigen Menschen abgebrochen, die mir eigentlich schon lange davor nicht mehr gut getan haben und mittlerweile bin ich sogar mit den Kindern vom Niederrhein, wo ich mich nie wohl gefühlt habe, zurück in meine Heimat gezogen.
Wie hast Du Dich verändert?
Ich bin offener geworden. Früher habe ich fremde Menschen eher gemieden, heute gehe ich aktiv auf Fremde zu. Ich fahre regelmäßig zu Treffen von Foren oder Facebookgruppen, wo ich andere Familien kennenlerne, ich gehe bewusst mit Zoe an die Öffentlichkeit, wir waren z.B. schon in mehreren Tageszeitungen, 2x in der Bild der Frau, sogar einmal in einem TV-Beitrag eines regionalen Fernsehsenders, außerdem habe ich eine Facebookseite für Zoe angelegt , auf der ich von unserem Alltag berichte, damit jeder sehen kann, dass unser Leben gar nicht so anders ist und sich viele unserer Sorgen und Probleme gar nicht so sehr von denen "normaler" Familien unterscheiden.
Andererseits bin ich aber auch ein wenig paranoid geworden, glaub ich manchmal, denn dank Zoe und dem Blödsinn, der ihr immer wieder in den Kopf kommt, sehe ich überall potentielle Gefahren. Seit Ende letzten Jahres kontrolliere ich z.B. jeden Abend mehrfach, ob alle Schlösser der Wohnungstür doppelt verschlossen sind und der Schlüssel so hoch wie möglich auf einem Regal liegt, denn an Heiligabend hatte Zoe sich selbst die Tür aufgeschlossen und war veschwunden, während ich im Bad war. Nach einer Ewigkeit vergeblicher Suche, wurde sie mir am Ende von der Polizei gebracht. Die Angst kann sich keiner vorstellen, was einem alles durch den Kopf geht, wenn man nicht weiß, wo das Kind, das ja auch keine Gefahren einschätzen kann und deshalb sogar offenen Auges vor ein fahrendes Auto rennen würde, hingelaufen ist. Einige Tage später habe ich sie morgens um 5 Uhr schon wieder dabei erwischt, wie sie mit dem Schlüssel ander Tür war, obwohl dieser ganz oben auf dem Regal gelegen hatte.
Was hat Dir am meisten geholfen, das Down-Syndrom anzunehmen?
Erstmal war mir das Down-Syndrom nicht völlig fremd, ich war als junges Mädchen schon mehrfach mit Menschen mit Trisomie 21 in Kontakt gekommen und wusste daher, wie lebensfroh diese sein können. Hilfreich war aber sicher auch, dass mein Mann und auch meine Mutter beide sehr positiv reagiert haben. Aber ich glaube, die größte Hilfe waren wirklich die anderen Familien, die ich bereits in der Schwangerschaft kennengelernt habe. Ich habe mich in einem DS-Forum angemeldet und wurde sofort herzlich aufgenommen und konnte mich bereits vor Zoes Geburt mit Familien treffen und sehen, was auf mich warten könnte. Diese Offenheit hat mir viel Mut gemacht, genau wie Conny Wenks Bilder von Tamara (The girl with the freckles), die ich mir auf Anraten der Humangenetikerin kurz nach der Diagnose direkt angesehen habe.
Was wünscht Du Deiner Tochter für ihr Leben?
Ich wünsche meiner Tochter, dass ihr so wenig Steine wie möglich in den Weg gelegt werden, dass sie ihre Ziele erreicht, welche auch immer das mal sein mögen, dass sie vielleicht sogar tatsächlich in der Lage sein wird, irgendwann weitestgehend selbstständig und vor allem selbstbestimmt zu leben. Außerdem hoffe ich, dass ihr die Menschen weiterhin so positiv begegnen, wie es bisher die meisten getan haben. Eigentlich möchte ich nur, dass sie glücklich ist und immer viele Menschen um sich hat, die sie lieben und nehmen, wie sie ist.
Katharina Nachtsheim arbeitet seit 15 Jahren als Journalistin, ihr Schwerpunkt sind dabei Familien-und Gesellschaftsthemen. Sie hat vier Kinder und lebt in Berlin.
vielen Dank dafür, dass du uns Einblick gewährt hast in dein Leben mit Zoe und ihrem Bruder. Es spricht sehr viel Liebe aus deinen Worten und auch die Bilder sind wunderschön, liebe-voll…Wie schön ihr beisammen seid! Liebe Grüße!
1 comment
liebe-voll..
Liebe Kathrin,
vielen Dank dafür, dass du uns Einblick gewährt hast in dein Leben mit Zoe und ihrem Bruder. Es spricht sehr viel Liebe aus deinen Worten und auch die Bilder sind wunderschön, liebe-voll…Wie schön ihr beisammen seid! Liebe Grüße!