Ihr Lieben, Ilanas Sohn ist hochbegabt. Wie man das feststellt und welche Förderung diese Kinder brauchen, verrät sie uns im Interview. Vielen Dank dafür, liebe Ilana!
Jetzt mal provokativ gefragt: Wenn ein Kind schlecht in der Schule ist, halten es die Eltern ja schnell für hochbegabt – anstatt lieber mit ihm zu pauken. Was ist wirklich dran an dem Mythos, dass hochbegabte Kinder schlecht in der Schule sind?
Man muss schon ganz klar unterscheiden: Nicht jedes Kind, das in der Schule schlechte Leistungen zeigt, ist hochbegabt. Eine realistische Einschätzung woher die schlechten Leistungen kommen, ist extrem wichtig. Resultieren sie aus einem Unvermögen (muss ich mein Kind also in der Grundschulzeit beispielsweise noch beim Erschließen des 20er Zahlenraums unterstützen) oder liegt es an Unterforderung (macht mein Kind z.B. bei den Plus- und Minusaufgaben des ersten Schuljahres laufend Fehler, weil es sich nicht darauf konzentrieren kann, rechnet aber im 100er Raum fehlerfrei).
Was sind denn die typischen Anzeichen für eine Hochbegabung?
Wenn man zu diesem Thema im Internet recherchiert, findet man nicht nur eine ganze Reihe von Artikeln und Erfahrungsberichten, sondern auch so etwas wie Checklisten, die man durchgehen kann um abzugleichen, was von den genannten Punkten auf den Nachwuchs zutrifft. Allerdings kann es sich dabei immer nur um grobe Einschätzungen und erste Orientierungshilfen handeln. Zu diesem Zweck habe ich auch auf meinem Blog eine Liste von 10 Anzeichen veröffentlicht, die darauf hindeuten können, dass ein Kind hochbegabt ist.
Meiner Erfahrung nach wirken hochbegabte Kinder schon sehr früh sehr „wach“. Schon im Säuglingsalter scheinen sie alles ganz genau zu betrachten und sind sehr aufmerksam. Sie sind ihren Altersgenossen oft voraus, durchschauen schnell Zusammenhänge. Unser großer Sohn (7) hat sich im Maxi Cosi sitzend schon Bücher angesehen. Kein Witz! Er sprach schon sehr früh in vollständigen, grammatisch korrekten Sätzen und entwickelte einen herrlichen Sinn für Humor und Ironie.
Bei hochbegabten Kindern geht die kognitive Entwicklung häufig um ein Vielfaches schneller von statten als bei durchschnittlich begabten Kindern. Seitdem es unseren Sohn gibt, weiß ich erst, was intrinsische Motivation wirklich ist – was es also heißt, so für ein Thema zu brennen, dass man alles darüber erfahren muss.
Unser Sohn hat immer schon ein großes Interesse für viele Dinge gehabt. Sei es die Funktion einer Ballenpresse als Zweijähriger oder der Aufbau einer römischen Legion, im Speziellen die Varusschlacht, mit vier. Hochbegabte Kinder fragen nicht einfach „Warum?“. Sie erkennen Zusammenhänge und stellen weiterführende Fragen. Wie bei allen Menschen gibt es auch bei Ihnen Inselbegabungen (fokussierte Talente, wie ein Sprach- oder ein mathematisches Talent) und Universalisten. Das macht die Antwort auf diese Frage noch komplexer.
Wenn ich als Eltern den Verdacht habe, es könnte eine Hochbegabung bestehen, wie gehe ich vor?
Wichtig ist, nah bei seinem Kind zu sein, es zu beobachten. Wenn es gut klar kommt, keine Probleme im Kindergarten und in der Schule hat und sein Potenzial gut nutzen kann, besteht vielleicht gar keine Notwendigkeit, Tests zu machen oder Gespräche mit Experten zu suchen. Das Kind ist ja nicht krank! Vielleicht hat es einfach die nötige Resilienz erworben, mit Langeweile und Unterforderung umzugehen oder sie zu Hause durch genügend Input auszugleichen.
Gibt es Unsicherheiten oder Probleme, kann man sich in jedem Fall erst mal bei der DGhK beraten lassen, der deutschen Gesellschaft für das hochbegabte Kind.
Dort wird man auch erfahren, ob es Sinn macht, das Kind testen zu lassen. Vielleicht ist es wichtig, für eine Art „Standortbestimmung“, bevor die Einschulung ansteht. Bei sehr kleinen Kindern macht das oft noch keinen Sinn, auch wenn es bereits Intelligenztests für Dreijährige gibt. Ich würde ab einem Alter von 5 Jahren frühestens zu einem Test raten. Dabei wird, je nach Test, nicht nur ein Wert ermittelt, sondern ist auch ersichtlich, in welchen Bereichen die Begabung besonders ausgeprägt ist. Manchmal ist es auch so, dass ein Kind sprachlich eine sehr hohe Begabung zeigt, aber große Konzentrationsprobleme hat. Oder aber, dass die Verarbeitungsgeschwindigkeit sehr schnell ist, es aber in anderen Bereichen Teilleistungsstörungen gibt. Wo man testen lässt erfährt man am besten auch beim zuständigen Regionalverband des DGhK.
Ab wann ist man eigentlich hochbegabt und wie viel Prozent der Deutschen sind das?
Als hochbegabt gilt man ab einem Intelligenzquotienten von 130. Man geht davon aus, dass ca. 2 Prozent der deutschen hochbegabt sind.
Aus deiner Erfahrung: Wie reagieren Lehrer, Bekannte auf die Diagnose Hochbegabung?
Hochbegabung ist ein Thema über das ich in meinem Alltag fast gar nicht spreche und nur eine Handvoll Menschen weiß von der Hochbegabung unseres Sohnes. Viele Menschen können mit dem Thema Hochbegabung nichts anfangen, vielleicht macht es ihnen sogar Angst.
Schon in meiner Arbeit als Lehrerin habe ich leider keine guten Erfahrungen mit Reaktionen auf Hochbegabung gemacht. Selbst im Kontakt mit anderen Pädagogen hörte ich bisher meist nur Negatives: Genervte Lehrer, die einen Schüler beschrieben mit Worten wie „der soll hochbegabt sein? Hast du mal gesehen wie der schreibt?“ oder „Achja, unser Hochbegabter“.
Oft wird eher abfällig von hochbegabten gesprochen, werden Tests angezweifelt, wird das Kind vor der Klasse eher bloßgestellt. Ich kann das nicht verstehen und es tut mir in der Seele weh. Auch mit den Lehrern meines Sohnes spreche ich nicht über seine Hochbegabung, wobei die Testunterlagen allerdings dem Schulleiter vorliegen. Es gibt dann auch so Killersprüche wie: „Bin ich froh, dass ich ein normales Kind habe und kein hochbegabtes.“
Was passiert, wenn man eine Hochbegabung NICHT richtig fördert?
Hochbegabte Kinder, die schulisch zu wenig gefordert und gefördert werden, können ihr Potenzial häufig nicht ausnutzen oder zeigen. Ihr Schulalltag besteht aus Langeweile und für sie sinnlosen Wiederholungen. Sie sehen keine Herausforderung, haben das Gefühl, alles sowieso schon zu können und geben sich keine Mühe mehr. Dadurch schleichen sich unnötige Fehler ein. Konzentrationsprobleme können entstehen. In so einem Fall spricht man von „Underachievern“. Leistungsmäßig bleiben sie unter ihren Möglichkeiten.
Diese Kinder können gar nicht zeigen, was in ihnen steckt. Sie sind sehr intelligent, haben ein großes Wissen, das sie aber nicht anbringen können. Im normalen Unterrichtsalltag scheint dafür kein Platz zu sein. Sie ecken an, haben Misserfolge in der Schule und entwickeln eine ausgeprägte Schulunlust, die als Faulheit missverstanden werden kann. Viele Kinder sind sehr traurig, bedrückt und können sogar depressiv werden.
Was möchtest Du unbedingt noch zu dem Thema loswerden?
Ich wünsche mir mehr Offenheit und Toleranz. Ich wünsche mir, dass die angestaubten Mythen in der Versenkung verschwinden und dass in der Öffentlichkeit, vor allem in unserem Bildungssystem, ein neuer Umgang mit Hochbegabung entsteht. Ich wünsche mir, dass Inklusion in Schulen endlich das bedeutet, was es bedeuten soll, nämlich, dass alle Kinder, auf jedem Lern- und Wissensniveau, entsprechend ihren Fähigkeiten angenommen, gefordert und gefördert werden.
INFOS über Ilana: 37 Jahre alt, verheiratet, zwei Söhne (Grundschulsohn und Babysohn), Lehrerin in Elternzeit. Das Thema Hochbegabung ist ihr eine Herzensangelegenheit, sowohl aus privater als auch beruflicher Sicht. „Plötzlich Hochbegabt“ ist für Eltern aber auch Erzieher und Lehrer gedacht; eben all’ jene, die sich „plötzlich“ mit dem Thema konfrontiert sehen, die gebündelte Informationen gemischt mit Erfahrungsberichten wünschen. Darüber hinaus gibt es auf dem Blog Tipps für Fachbücher zum Thema aber auch für Bücher, zu den Spezialinteressen der Kinder passen.
3 comments
Fluch und Segen zugleich!
Natürlich ist man sehr Dankbar, wenn das Kind wissbegierig ist und wenig Probleme hat um in unserem schnellen Bildungssystem zurecht zu kommen.
Und bei uns war das erste Kind „betroffen“. Aber da wir keine Vergleiche hatten, war er „normal“ und wir lebten halt unser Leben.
Irgendwann sagte der Kinderarzt (mit 4 Jahren), dass unser Sohn echt pfiffig ist und dass wir mal ein bisschen beobachten sollen und aufschreiben sollen, was er kann und mag und was ihn interessiert.
Er konnte mit 1 1/2 Mehrwortsätze bilden.
Mit 2 Jahren begann das Interesse für Buchstaben.
Zu den ersten Worten gehörte „Tichtooot“ für Strichcode, was ihn faszinierte und er auf allen Artikeln suchte.
Als er mit 3 Jahren das ABC konnte, begann er Zahlen zu suchen und begann zu rechnen.
Nebenbei liebte er Sachbücher ALLER Art und konnte auf der Weltkarte mit 5 Jahren Länder zuordnen, die ich als Geologie-Niete nicht zuordnen konnte.
Wieso und Warum und Wozu und Wie waren immer seine liebsten Fragen.
Im Kindergarten war ihm mit 5 so extrem langweilig (basteln und Co hat ihn genervt), dass er die Quersumme aus dem Alter aller Kinder gebildet hat.
Mit 5 Jahren konnte er sicher im Zahlenraum 100 agieren.
Nur um ein paar Beispiele zu geben.
Und das ist nicht so gewesen, weil WIR es gefördert haben, sondern weil er Wissen und Erklärungen von sich aus gefordert hat.
Es folgten schwere Jahre der Lösungssuche und große Probleme im Bildungssystem, was eher auf Förderung schwacher Kinder als auf Erkennung und Förderung starker Kinder ausgerichtet ist.
Ich könnte Seiten füllen mit dem, was wir erlebt haben.
Und dabei ist er nichtmal der typische Hochbegabte mit IQ über 130. Sondern er ist in dem Bereich zwischen „normalen“ IQ und Über-IQ. Da gibt es laut dem Verein für das hochbegabte Kind nämlich eine Normierung. So haben wir auch keine Hilfe oder Unterstützung bekommen.
Und die Sprüche „seid doch froh, besser als ein dummes Kind“ zeugen einfach davon, dass NIEMAND weiß, wie zeitintensiv und strapazierend und fordernd auch ein sehr intelligentes Kind sein kann. Und so steht man recht auf einsamen Posten damit.
Aber wir haben unseren Weg gemacht. Haben Sicherheit gewonnen und noch zwei Kinder bekommen. Der Große ist nun 12 und wir bemühen uns andere Eltern aufmerksam zu machen, wenn wir ähnliche „Symptome“ sehen und ermutigen sie sich zu informieren um dem Kind dann zu helfen. Den unerkannte Begabungen verkümmern nicht nur, sondern können wirklich Verhaltensauffälligkeiten hervorbringen.
DANKE für den tollen Beitrag!
Herausforderungen
Hallo, ich selber habe auch schon immer sehr schnell alles aufgefasst und verstanden. Klassenarbeiten in der Grundschulzeit habe ich nach dem Lösen auf einem anderen Papier abgeschrieben, damit ich zu Hause schon mal mit meinen Eltern die Lösungen Vergleichen konnte. Im Gymnasium habe ich alle Hausaufgaben (außer Referate) in den anderen Fächern gemacht, in denen mich die endlosen Wiederholungen genervt haben. Ausgetobt habe ich mich in Sprachen (habe zu Schulzeiten Englisch, Latein und Französisch gelernt), danach mir selber noch Spanisch erschlossen. „Trotzdem“ habe ich nach dem Abi erstmal ne Ausbildung gemacht und danach neben einem 40 Std. an der FernUni noch Wirtschaftswissenschaften studiert. Das war sehr schön, habe viele Gleichgesinnte so getroffen. Beruflich bin ich nah am Mensch geblieben, das ist meine persönliche Herausforderung- jeder tickt anders, jeder hat andere Ziele und Wünsche. Mein Sohn scheint mir nach zu kommen, noch ist er im Kindergarten, er erschließt sich gerade die Grundrechenarten selber… Sein Steckenpferd sind die Zahlen. Ich bin gespannt, wohin bei ihm die Reise führt und wünsche ihm, dass er sein Potential gut nutzen kann!
haha, das bin ja ich!
Hallo, danke für den Artikel. Bei der Beschreibung der schulischen Laufbahn lese ich mich selber raus. Mein Abitur hab ich mit dem vier-gewinnt-Ansatz erledigt. Immer nur gerade so viel getan daß es reicht, in die nächste Klasse zu kommen. Hausaufgaben hab ich ab der Mittelstufe nur noch sporadisch erledigt. Auf Stegreifaufgaben regelmässig nicht gelernt und nur rekapituliert was im letzten Unterricht so gesagt wurde. Hat das Aufgeschriebene gereicht für eine 3 (hab mir selber den möglichen Punkteschlüssel während der Ex ausgerechnet und die möglichen Grenzen zwischen den Noten) hab ich das Blatt abgegeben. in den meisten Fällen war die Berechnung richtig. Aufs Abitur selbst hab ich nur eine Woche lernen investiert. Und das beim ach so schwierigen bayrischen Zentralabi. Das STudium lief genauso. Ich erschien nur zur Prüfung. Während des Semesters hab ich lieber gearbeitet. Jetzt bin ich Ingenieur. Und in jeder jährlichen Leistungsbeurteilung wird mir mitgeteilt daß ich mehr könnte aber hinter meinen Möglichkeiten bleibe. Der Job langweilit mich. Die Leistung ist entsprechend der Schullaufbahn: vier gewinnt.
Jetzt bin ich Mama. Und meine kleine ist 3. Sie ist auch „wach“. Lief mit 9 Monaten, Sprach sehr früh. Kann jetzt mit Anfang 3 ganze Unterhaltungen mit fast ausschließlich grammatikalisch richtigen Sätzen führen. Stellt Zusammenhänge her, zieht sich komplett alleine an und im Vergleich zu den gleichaltrigen in ihrer Kita-Gruppe ist sie fast ein halbes Jahr voraus. Gerade versucht sie sich an Lesen und Schreiben. Ich habe durchaus Mühe den Wissens- und Lernhunger adäquat zu stillen. Auch die Energie bei Bewegung richtig zu kanalisieren. Wo das grade hinführt macht mir schon auch n bissl Sorgen. mit der DGhK war ich schon in Kontakt und geht das Entwicklungstempo so weiter, werde ich wohl in 1-2 Jahren mal mit denen ein Gesrpäch führen müssen.