Unsere syrischen Gäste sind erst seit etwas mehr als zwei Wochen bei uns, die Zeit war aber so intensiv, dass ich nicht recht weiß, wo ich beginne. Bei dem Wahnsinns-Essen, das ich Euch bereits bei Facebook zeigte vielleicht.
Ab morgens um zehn standen sie und er in der Küche, um 16 Uhr wurde serviert, auf zwei Herden gleichzeitig gebrutzelt. Vor 19 Uhr verließen sie die Küche nicht, denn wenn sie kochen, dann wird es danach aussehen, als sei die Küche neu gekauft. Komplett sauber, vollkommen aufgeräumt. Sie haben für diesen Tag ein Theaterstück für Flüchtlinge abgesagt, weil es ihnen so wichtig war, für uns zu kochen.
Der Kleine lernt die ersten Worte
Der kleine Dreijährige spielte. Allein. Oder mit uns. Kein Quengeln, kein Nörgeln. Das kommt in seiner Welt gar nicht vor. Er kann mittlerweile ein paar Wörter: „Lisa“, „Lecker“ und „Prost“. Außerdem: „Stau“, „Haus“, „Auto“, „EinsZwei“. Und: „Komm!“ Innerhalb von zwei Wochen!
Sie lachen so viel. Immer, wenn wir uns etwas erzählen wollen und es doch nicht schaffen, weil die Sprachen so unterschiedlich sind. Und zwischendurch sowieso.
Wir waren diese Woche mit ihnen auf dem Laternenumzug bei uns im Dorf und irgendwie hat das etwas in ihnen ausgelöst. Natürlich wussten sie zunächst gar nicht, warum wir eine Laterne basteln, eigentlich dachten sie wohl bis zuletzt, dass die Laterne für unsere Kinder ist. Das merkte ich, als sie am Martinstag plötzlich meinem Mittleren die Laterne ihres Kleinen in die Hand drückten. "Nein, nein", sagte ich, "unsere Kinder haben in der Schule ihre Laternen. Diese hier ist für Euch".
Dank Google hatte ich ihnen ein Foto von einem Laternenumzug zeigen können, so dass sie ein ganz kleines bisschen wussten, was sie erwartet.
Hilfe dank Google Übersetzer
Google hat sich überhaupt als großer Helfer für uns erwiesen. Da wir keine gemeinsame Sprache haben, weil ich kein kurdisch, arabisch oder türkisch spreche (wie sie) und sie kein Deutsch, Englisch, Spanisch sprechen (wie ich) schlagen wir uns wirklich mit Händen und Füßen durch. Aber auch mit Fotos oder Bildern. Ich erklärte ihnen, warum unser Ziegenbock plötzlich nicht mehr im Gehege steht, indem ich ihnen den Bock inmitten von vielen Ziegendamen auf ein Blatt Papier malte. Da verstanden sie: Er ist umgezogen in eine Herde, nachdem seine Mama vor zwei Wochen gestorben ist. Tiere alleine halten geht einfach nicht.
Ihre Fluchtroute konnten wir anhand von Atlanten nachvollziehen, darin zeigten sie uns den Weg, den sie hinter sich gebracht haben. Sie zeigten uns auch das Foto eines gekenterten Bootes und machten uns Hilfe-Rufe vor. Mit Fotos und Atlas konnten wir verstehen, dass sie von der griechischen Küstenwache gerettet wurden, nachdem ihr Boot gekentert war. Ich habe auch ein Foto aus Serbien gesehen, auf dem zu sehen ist, dass sie unter freiem Himmel auf Pappkartons schliefen.
Austausch dank Whatsapp
Per Whatsapp schicken wir uns Bilder des Tages: der Kleine auf dem Trampolin, der Kleine auf dem Laufrad, der Kleine beim Laternenumzug. Ich habe per Whatsapp ein Foto mit Rosen bekommen. Wer nicht weiß, was das Wort Danke in dem fremdem Land heißt, der schickt einfach ein Foto. Ich werde es nicht löschen.
Ich sehe unsere Jungs, wie sie plötzlich nicht mehr die Kleinsten im Haus sind. Sie machen sich gut als große Brüder. Unsere Tochter als große Schwester sowieso.
Ich sehe den Kleinen, wie er ein Freudentänzchen aufführt, wenn wir uns mal zwei Stunden nicht gesehen haben und dann wiedersehen. Wie er seit zwei Tagen nach unserem Ziegenbock fragt. Wie er nun täglich auf's Trampolin möchte.
So viel Wärme
Ich spüre die Umarmung dieser Menschen und fahre morgens herzgewärmt zur Arbeit und denke an mein neustes arabisches Wort, das ich aufschnappte, als sie es zu ihm sagte. Habibi – Schatz, Liebling.
Dank Google Übersetzer können wir Abstraktes auch einfach ins Handy tippen und heraus kommt etwas in dieser wunderschönen arabischen Schrift. So lesen sie dann, was ich meine. Und abends schicke ich ihnen einen Screenshot von der arabischen Übersetzung der Worte "Gute Nacht".
Wir suchen jetzt eine Wohnung für sie. Wir zeigen ihnen Bilder und malen Orte auf. Und oft geht es eben auch ohne Worte. Dann, wenn eine Firma mir unaufgefordert eine Brotdose von Feuerwehrmann Sam schickt und ich sie ihnen schenke. Dann umarmen wir uns.
Eine Flüchtlingsfamilie aufnehmen: So geht das praktisch
Einige hatten ja gefragt, wie das praktisch und im Alltag geht, eine Flüchtlingsfamilie aufzunehmen.
Dazu muss ich sagen, dass wir in der luxuriösen Lage sind, Gästezimmer im Haus zu haben. Unsere Gast-Familie hat also einen eigenen Raum und ein eigenes Bad, so dass wir uns morgens beim Duschen nicht auf die Füße treten. Dazu kommt, dass wir in der Großfamilie wohnen und immer jemand im Haus ist. Wenn ich also morgens zur Arbeit fahre und mein Mann auch und die Kinder zur Schule, dann weiß ich immer: Sie sind nicht allein. Wenn sie etwas brauchen oder Fragen haben oder – mal wieder – im Garten helfen wollen, dann haben sie immer einen Ansprechpartner.
Unsere ganze Familie trägt das mit und das ist ein wirklich schönes Gefühl.
Wir haben uns Hochzeitsbilder gezeigt und Babyfotos. Ich habe sie zum Ausländeramt gebracht, sie kamen mit Blumen wieder. Ich habe sie zum Sozialamt gebracht und sie wieder abgeholt, diesmal hatte ich etwas dabei: Die Laterne. Zum Selberbasteln. Zu Hause hat der Kleine zum ersten Mal mit einem Pritt-Stift geklebt und mit einer Kinderschere geschnitten. Das gab es auf der Flucht nicht.
Ich geh mit meiner Laterne
Der Laternenumzug war dann ein wirklich intensives Erlebnis. Der Kleine saß auf den Schultern seines Papas und staunte mit offenem Mund. Da kam ein St. Martin auf einem echten Pferd. Da kamen etliche Schulkinder aus dem Schulgebäude, jeder eine Laterne in der Hand. Ein Lichtermeer. Da kamen die Live-Musiker, die St. Martinslieder anstimmten. Und unsere Familie zog mit mir hinterher. "Sehr, sehr schön", sagten sie. Das haben wir ihnen schon beigebracht.
Lampions standen in den Gärten, bunte Lichter säumten die Straße und unsere Gast-Familie strahlte. Solche Lampions haben sie auch in Syrien, machten sie deutlich. Was heißt Lampe auf deutsch? Sie kamen aus dem Erzählen nicht raus. Sie sprachen untereinander, sie sprachen mit mir, sie fragten lauter Dinge, indem sie darauf zeigten und das deutsche Wort wissen wollten. Und dann kam noch der krönende Abschluss am großen Feuer, der Kleine sagte nur "ABoah"! Und die Mama sagte "Feuer, heiß", wieder neue Wörter gelernt. Danach bekam der Kleine einen Weckmann und ich gab den Eltern eine Runde Glühwein aus. "Hmm, lecker", "Prost!".
Alles macht so viel Sinn
Ich habe sie noch nie so müde gesehen wie nach diesem Ausflug. Aber sie sahen wirklich glücklich aus dabei. Und das war ich auch.
Ja, es ist auch manchmal anstrengend, sich ohne Worte unterhalten zu müssen. Es fordert das Gehirn. Aber es ist auch so bereichernd. Den Kindern zu zeigen, dass es auch andere Kulturen gibt, andere Lebensstandards, andere Lebenswege, andere Sprachen und andere Wege, miteinander zu kommunizieren. Das macht einfach alles so viel Sinn.
Zum Weiterlesen:
Wie er lacht, wie er lebt: Ein kleiner Flüchtlingsjunge zu Gast bei uns
Wenn der Nikolaustag mit syrischer Musik endet, kann er nut toll gewesen sein
Das Baby unserer syrischen Freunde ist da – und haut uns mit einer Überraschung um
P.S. Entschuldigt die schlechten Bilder, wir haben wirklich schöne, aber wir wissen einfach nicht, wie wir das Phänomen "Datenschutz" auf arabisch erklären sollen und haben uns deswegen dazu entschieden, keine Gesichter zu zeigen.
8 comments
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Datenschutz
Hallo,
toll, was ihr da macht.
Es gibt ein online-Wörterbuch für arabisch, welches nicht schlecht ist: http://www.lessan.org. Geht für beide Richtungen.
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Ich finde es aber nicht schlimm ohne Bilder, denn um die geht es nicht wesentlich.
Oh Lisa, mein Herz
Ich bin so erfreut über deinen Beitrag, ihr seid grandios. Danke! Das ist so aus dem Leben geschrieben, ich hoffe, es macht vielen Mut in diesen Tagen. Liebe Grüße, Jule
Respekt
Ich habe den größten Respekt vor dir, vollkommen fremde Menschen bei euch aufzunehmen. Der Bericht war wunderschön und ich habe ihn mit großer Neugier gelesen und würde gerne auch noch mehr über das Zusammenleben lesen. Da ich selbst nicht den Mut, die Kraft und auch die Zeit habe, eine Flüchtlingsfamilie aufzunehmen, habe ich einen ganz großen Respekt vor euch. Ganz tolle Sache.
LG Anke
Super
Diese Familie wird Euch ihr Leben lang dankbar sein. Und Ihr ihr sicher auch, nur eben anders. Das ist wirklich großartig!
Ach und mit der App „Fotor“ lassen sich Gesichter verpixeln 🙂
Ich finde euch bewundernswert
Ich finde euch bewundernswert. Du hast recht, wenn du sagst dass es so sinnvoll ist. Meine Angst ist es, dass nach den schrecklichen Anschlägen alle Menschen mit arabischem Hintergrund über einen Kamm geschert werden. Es ist wichtig zu wissen, dass das terroristen sind und die Flüchtlinge genau vor solchen Abschlägen fliehen!
Einfach schön …
Einfach schön zu lesen. Super macht ihr dass! Alle 8!
LG
Grossartig
Was du leistest, Lisa! Wie schön, dass es einen Mama-Blog gibt, der auch soxlhe Themen aufgreift!