Liebe Lisa, seit Du nicht mehr ausschließlich von zu Hause aus arbeitest, hat sich Dein Leben ganz schön verändert. Vieles, was Du mir erzählst, kann ich so gut nachvollziehen. Schließlich war ich fast 10 Jahre festangestellt. Doch dieses Jahr habe ich den großen Sprung ins kalte Wasser gewagt und mich im Februar selbstständig gemacht. Acht Monate ist das nun her – und neulich hast Du mich nach meiner ersten Bilanz gefragt. Zuerst muss ich noch mal sagen, wie schwer mit dieser Schritt gefallen ist, wie oft ich ihn nachts durchgespielt habe. Und ihn schließlich einfach getan habe. Auch mein Leben hat sich dadurch komplett verändert und ich will Dir ein paar Punkte aufschreiben.
- Ich habe unfassbar viel über Organisation, Ämter und Strukturen gelernt. Früher hat mir alles die Sekretärin abgenommen, jetzt mache ich alles selbst. Das ist nicht meine Stärke, aber ich glaube, es ist wichtig für meine Weiterentwicklung
- Ich vermisse Kollegen, gemeinsame Mittagessen, das Gefühl, Teil einer Gemeinschaft zu sein. Manchmal fühle ich mich sehr einsam
- Ich genieße die entspannten Morgen. Ich muss nirgends pünktlich sein. Ob ich nun zehn Minuten früher oder später am Computer sitze, ist eigentlich egal. Den Kindern gefällt´s.
- Ich habe kein Dauer-schlechtes-Gewissen mehr meinen Chefs oder Kollegen gegenüber, wenn ich wegen eines kranken Kindes zu Hause bleibe. Mein Arbeitspensum mache ich dann einfach, während das Kind schläft
- Ich arbeite oft bis spät abends. Weil ich tagsüber doch nicht das geschafft habe, was ich wollte oder eins der Kinder zu Hause war
- Ich bin verdammt leicht abzulenken. Könnte doch schnell noch Oma anrufen oder eben zur Post radeln, die Wäsche machen. Da muss ich mich echt noch bessern
- Ich kämpfe immer noch gegen Selbstzweifel. Niemand wartet auf mich da draußen, es gibt so viele freie Journalisten…
- Ich habe Absagen bekommen, die mich verzweifeln ließen. Oder erst gar keine Antwort auf Themenangebote. Total frustrierend.
- Ich habe neue Auftraggeber gefunden, die ich vorher gar nicht auf dem Schirm hatte. Konnte mich in neue Themen einarbeiten, habe neue Kontakte geknüpft. Super spannend und befriedigend.
- Stadtlandmama ist so viel besser, als ich gehofft hatte. Wir beide gestalten ein Magazin, bestimmen, wann welcher Beitrag erscheint, reden über Themen, wollen uns weiterentwickeln. Wir entscheiden alles selbst, bekommen unmittelbar Feedback von den Lesern. Ich lerne jeden Tag eine Menge und bin super happy über uns als unser Team.
- Ich trage sehr viel Gammelklamotten. Früher ins Büro bin ich immer gestylt und geschminkt. Aber zu Hause, wo mich niemand sieht?! Puh, das muss wieder anders werden
- Früher haben mich einige Termine an den Rand der Möglichkeiten gebracht. Schulbehörde morgens um neun? Wie soll das gehen, wenn man um neun Uhr Dienstbeginn hat? Dass ich da nun rexaled hingehen kann, ist ein riesen Vorteil
- Ich bin effizienter. Kein Kollegentalk mehr, keine lange Mittagspause und vor allem kein langer Arbeitsweg mehr.
- Ich habe Zukunftsangst. Ja, momentan läuft es gut. Aber wie sieht es in ein paar Wochen aus? Dieses Gefühl schwingt noch ständig mit. Ich habe immer mein eigenes Geld verdient, war nie abhängig von meinem Mann. Und das soll auch so bleiben.
- Ich muss lernen, mir frei zu nehmen. Als Festangestellte fährt man in Urlaub und gut. Als Selbstständige ist das nicht mehr so einfach. Ich muss lernen, mich auch mal auszuklinken, keine Mails zu checken, den Blog nicht zu verfolgen…
- Welchen Auftrag nehme ich an? Und wann bin ich voll? Neulich hatten meine Kinder drei Wochen kitafrei und ich hatte so viel Arbeit. Das haut nicht hin. Ich traue mich manchmal noch nicht, Dinge abzulehnen, weil ich Angst habe, dann nie wieder angerufen zu werden. Die Balance zu finden, ist ein riesen Thema
- Manchmal fehlt mir ein Mentor/Chef, mit dem ich Schwierigkeiten besprechen kann, der mir neuen Input gibt
- Mir fehlt die Geduld anzunehmen, dass ich mich auch als Selbstständige weiterentwickeln kann, bin schnell wütend oder frustriert, wenn irgendwas nicht klappt. Aber Geduld lernen ist eh mein Hauptziel…
- Ich genieße die Freiheit, in meinem Tempo und meiner Art zu arbeiten
- Ich sehe die Kinder mehr. Kann sie früher abholen, weil der lange Arbeitsweg wegfällt.
- Ich habe viele neue Leute kennen gelernt, die ich in meinem alten Job nicht kennen gelernt hätte
- Manchmal sehe ich Projekte von Ex-Kollegen, die ich auch echt gerne gemacht hätte und werde wehmütig.
- Ich trainiere mein Verhandlungsgeschick und den Umgang mit Kunden. Und da kann ich echt sagen: Übung macht den Meister. Denn anfangs fiel mir das total schwer, es wird aber immer besser.
- Ich finde heraus: Was bin ich und meine Arbeit wert? So spannend.
Ja, dieses Gefühlschaos habe ich – mal mehr, mal weniger, in den letzten Wochen und Monaten durchlebt. Ich danke Dir, dass Du mir gerade am Anfang so viel zugehört hast. Mein Fazit? Es ist kein leichter Weg, aber ich bin überzeugt, dass es der richtige Weg ist.
Fotoquelle: jala / photocase.de
6 comments
ich rudere gerade zurück……
Ich habe mich vor 3 Jahren selbständig gemacht und es lief von Anfang an gut.
Vor knapp 2 Jahren kam dann die Kleine. Nebenbei habe ich reduziert weiter gearbeitet und bin nach kurzer Zeit wieder regelmäßig zum Kunden.
Es lief, irgendwie.
Letzten Winter war ich dann 10 Wochen fast am Stück krank, der Super Gau (das erste fiese Kita Jahr!?) ! Teilweise auch noch mit krankem Kind zuhause. Die Nachwirkungen und der Arbeitsstau zogen sich noch bis in den Sommer. Dann sind wir auch noch umgezogen.
Meine Kraft ist langsam verbraucht. Zusätzlich das Gefühl, auf keiner Hochzeit richtig tanzen zu können (auf der einen Seite meiner Tochter nicht zeitlich gerecht zu werden, auf der anderen Seite kann ich z.B. abendliche Networkinggeschichten nicht wirklich wahr nehmen).
Den Aufbau der Selbständigkeit habe ich erfolgreich geschafft, nun wäre es an der Zeit zu wachsen bzw. sich weiter zu entwickeln und das kriege ich in der jetzigen Situation nicht hin. Das frustriert mich.
Die größte Schwierigkeit nach den 3 Jahren besteht für mich übrigens darin, aufgrund des Pensums nicht richtig abschalten zu können, immer Druck zu haben im Kopf, auch am Abend und am Wochenende. NICHT GUT!
Daran ändere ich jetzt was.
Meiner Familie zuliebe versuche ich jetzt einen Mittelweg aus Festanstellung und (stark zurück gefahrener) Selbständigkeit…um auch zeitlich etwas flexibel zu bleiben.
Let´s see 🙂
Dir wünsche ich viel Erfolg und Kraft auf Deinem Weg, er ist auf jeden Fall spannend und voller Überraschungen 🙂
LG
Schön geschrieben!
Liebe Katharina! Das hast Du wirklich schön geschrieben und ich finde es einfach toll, dass es uns doch allen ein wenig ähnlich geht! 😉 Im Moment hadere ich immer wieder damit, dass mein Tag „nur Baby“ ist und ich regelrecht süchtig nach meiner Arbeit bin (selbstständige Imageberaterin)! 🙂 Sowas muss einem mal passieren! Alle eine Phase! 🙂
Liebe Grüße, Anneli
ich teile deine Gedankenwelt
Liebe Katharina, ein super Beitrag – könnte so in meinem imaginären Tagebuch stehen 😉 Und zwar nicht, weil ich mich auch vor einiger Zeit selbstständig gemacht hätte, sondern weil ich mit dem Gedanken spiele, und das schon seit über einem Jahr. Wenn ich deine List so lese, dann scheint mir, dass es auf einen mutigen Moment ankommt, an dem man sich einfach traut und nicht unbedingt auf zunehmende Sicherheiten, die einem die Entscheidung erleichtern 🙂
LIebe Grüße!
Liebe Kimmi
Das trifft es ziemlich gut. Man kann es stundenlang durchdenken, immer wieder darüber sprechen, abwägen – aber irgendwann muss man sich entscheiden. Bei mir war es, als mein Bauchgefühl stärker war als mein rationaler Kopf. Dann hab ich gesagt: ich versuch´s. Hatte riesen Bammel, aber ich wollte mich nicht nur von meinen Ängsten leiten lassen. Du wirst merken, ob und wann die Zeit für einen Wechsel reif ist. Alles Gute!
kann ich so unterschrieben
Liebe Katharina,
kann ich so alles unterschreiben! Sehr guter Beitrag! Lass uns mal die Jogginghosen ausziehen und auf einen Kaffee treffen. (aber angezogen, is klar)
lg nina
Au ja!
Sehr gern!