Mein liebster Opa,
Ich war schon immer ein Opa-Kind. Du warst mein einziger Opa und wir sahen uns schon immer ähnlich. Ein Trio: Papa, Du und ich. Wenn ich mich erinnere, dann erinnere ich meine Kindheit mit Dir. Walnüsse aufheben im Garten, Fische im Teich füttern, Fahrrad fahren lernen in Adlershof. Du hast mir schummeln beigebracht und warst mit mir spazieren. Wir sprachen über die Ehe meiner Eltern und über meine Schwester, die schon immer so sensibel war. Du gabst mir den Auftrag, meine Mutter zu beschützen und ich tue noch immer mein Bestes. Die Zeit verflog so schnell die letzten Jahre und als wir dich 2010 verloren haben, da ist ein sehr wichtiger Teil von mir mit dir gegangen. Ich konnte dir noch im Krankenhaus sagen, dass ich wieder schwanger bin und dass der errechnete Termin deines Urenkels dein Geburtstag sein würde, danach habe ich dich zusammen mit den anderen bis zum Ende begleitet. Einer geht, einer kommt. So hat es immer geheißen. Dein Urenkel trägt deinen Namen, Walter, und seine tiefblauen Augen funkeln wie deine, schelmisch.
Du hast immer gut beobachten können, hast die Zusammenhänge erkannt und warst bis zu deinem Unfall total klar im Kopf. Wie schafft er das mit 92, haben immer alle gefragt und du hast deine neue Freundin an die Hand genommen und bist spazieren gegangen. „Der niedrige Blutdruck ist es“, hast du mir immer gesagt. Ich habe den auch, weißt du. Als du nach der Wende zur Oma nach Kreuzberg nachgezogen bist und deine Ehe gerettet hast, hast du dir einen Hund angeschafft und die Gemüsehändler zu deinen Freunden gemacht. Ich weiß der Umzug ins Wohngebiet der Eltern, wegen Oma damals, hat dir zu schaffen gemacht, du mochtest den Görlitzer Bahnhof und die neue bunte Welt. Ich habe dir immer voll Stolz meine engsten Freunde/innen gezeigt und du hattest mit jedem einen Draht. Du hast zu meiner Welt dazu gehört und ich wollte dich nie ausschließen. Als ich dir nach meinem Abitur erzählte, dass ich für ein Praktikum in die USA gehe, da hast du mir von deiner US-Gefangenschaft berichtet. Ich habe all deine Orte besucht und dir Karten geschickt, ich weiß sie waren alle noch da.
Als ich erst eine Lehre und danach ein Studium begann, hast du mich unterstützt und gestärkt. Wir spielten weiter Dame wenn ich dich besucht habe. Als Oma gestorben ist, warst du traurig. Wir suchten gemeinsam euren Grabstein aus und ich habe die Frau im Institut angeschrien, als sie deinen Namen zur Probe auf den Grabstein schrieb und das ausdruckte. Den Ausdruck habe ich noch. Du hast mir einen Schlüssel für den Friedhof besorgt, damit ich schneller und sicherer abends nach Hause komme, ich habe ihn nie benutzt. Als ich meinen Mann traf, sagte ich dir leise ins Ohr „Merk dir den, ich glaub den behalte ich“ und du nicktest nur stumm. Ihr wurdet Freunde und nicht ohne Grund hat er deine Grabrede gehalten. Als ich das erste Mal schwanger war und du meine kleine Tochter im Arm gehalten hast, hast du gesagt, dass sie aussieht wie deine Tante Hannah und ihre Finger gehalten, wir haben zusammen gelacht. Ich weiß, dass die kirchliche Trauung dich glücklich gemacht hat, du warst immer stolz auf meinen Stil und meine gute Wahl. Danke für dein Vertrauen.
Du fehlst mir als guter Zuhörer Opa und als Adresse für meine Postkarten. Ich habe doch immer 10 Stück geschrieben, aus jedem Urlaub. Nach deinem Tod habe ich weiter welche an dich geschickt, an deine neue Adresse, an dein Grab. Ich weiß du hättest darüber gelacht und dich gefreut. Du fehlst mir an deinem Geburtstag dem 26.12. Wir waren doch immer Chinesisch essen. Ente, dein Favorit. Nun muss ich den 26.12. ohne dich planen, schon im vierten Jahr.
Ich habe so viel von dir gelernt und immer zu dir aufgesehen. Nicht nur deine Murmelsammlung, sondern auch meine Geschichten über dich; lassen die Kinder erinnern. Opa Walter der Schäfer, Opa Walter der Schummelkönig. Du würdest den kleinen Walter lieben, er bildet das neue Trio zusammen mit deinem Sohn. Er ist auch ein Opa-Kind und lernt von mir das Schummeln. Papa übernimmt nun ganz langsam deinen Platz in unserer Reihe und oft erkenne ich dich und deine Stille in ihm wieder. Als du gegangen bist, habe ich dir einen Brief mitgegeben, in dein Grab, in dem standen so viele Worte für eigentlich nur eine Tatsache „DU FEHLST MIR SO SEHR OPA“
Deine Annel. (Mit Henriette 7 und Kornelius Walter fast 4)
Annel schreibt auch auf www.grossekoepfe.de
2 comments
Wahnsinnig berührend – danke!
Es gibt Blogbeiträge, die stechen „aus der Masse“ hervor. Weil sie mich bewegen, und zwar ganz intensiv. Dieser hier ist so einer! Ein unglaublich warmer, liebevoller, ja einladender Brief. Einladend, im Sinne des Sicherinnerns, Festhaltens und Loslassens. Danke an die Autorin! Und alles Liebe!
So wunderschön!
Ich habe leider keinen meiner Großeltern kennen lernen dürfen.